Berlin. . Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt den Ersten Weltkrieg als Ausgangspunkt für ein Jahrhundert, in dem sämtliche Dämme der Zivilisation brachen, als Katalysator für Vernichtung und Völkermord. Er wird nicht 1918 enden, sondern erst in Auschwitz und Hiroshima.

„Wollt Ihr den totalen Krieg?“ Im Februar 1943 peitscht Propagandaführer Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast den Deutschen neue Kriegslust ein. Eine entfesselte Völkerschlacht aber ist drei Jahrzehnte nach Verdun nichts Neues mehr für Europa. Bereits 1916 ist vom „Totalen Krieg“ die Rede. Heute gilt der Erste Weltkrieg als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, als Katalysator für Vernichtung und Völkermord.

Was im August 1914 als herkömmlicher Krieg des 19. Jahrhunderts begann, endete als industrieller Massenkrieg mit einer nie dagewesenen Eskalation der Gewalt. Die Folgen reichten über 1918 hinaus: Der Erste Weltkrieg gilt heute als „Maschine zur Brutalisierung der Welt“ (Eric Hobsbawm), als Dammbruch der Zivilisation, als Auftakt zum Zeitalter der Extreme. Zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin anhand von 14 internationalen Kriegschauplätzen, wie die Gewalt eskalierte. Am Mittwoch wird die Ausstellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet.

Der Ursprung von 08/15

Es ist das gewaltsame Ende des 19. Jahrhunderts, der Durchbruch des modernen Kriegs, wie ihn Friedrich Engels schon 1887 prophezeit: mit Toten in Millionenhöhe, Hungersnöten, völkerrechtlicher Verwilderung. „Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet.“ In der Berliner Ausstellung läuft der Besucher direkt ins Verderben: Ein Maschinengewehr steht im Weg, aus dem Lauf kommen ein paar Hundert Schuss pro Minute. „08“ ist eingraviert - Baujahr 1908. Sieben Jahre später gab es eine Weiterentwicklung, die Todesmaschine hieß jetzt „08/15“ - eine Chiffre, die schnell zum Inbegriff für massenhafte Normalität wurde.

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Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt das Zeitalter des industriellen Tötens, die Kriegstechnik wird radikal modernisiert und ethisch entfesselt. 1914 verwendet die Französische Armee erstmals versuchsweise Tränengas, ein Jahr später bringen die Deutschen in Belgien tödliches Chlorgas zum Einsatz, das die Lungen verätzt, später auch Kontaktgifte, die in die Haut eindringen. 1918 war fast jede dritte Granate mit chemischen Kampfstoffen gefüllt. Der Gaskrieg an der Westfront fordert schließlich rund 20 000 Tote und eine halbe Millionen Verwundete.

Materialschlacht mit der „Dicken Berta“

Der Wille zur Eskalation ist nach Ansicht von Militärhistorikern auch beim Luftkrieg längst da - allein die Technik war noch nicht so ausgereift wie später im Zweiten Weltkrieg. Beim U-Bootkrieg dagegen sterben fast 30 000 zivile Seeleute durch deutsche Angreifer. Es ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts - doch er macht Schule: im Zweiten Weltkrieg gelten Handelsschiffe bereits als legitime Ziele. Die großen Rüstungsbetriebe profitieren von den Materialschlachten - Krupp etwa entwickelt mit der „Dicken Berta“ eine der bekanntesten Kanonen des Ersten Weltkriegs.

Was im Zweiten Weltkrieg zur Kriegsroutine gehört, wird im Ersten erprobt: Im besetzten Belgien ermorden deutsche Soldaten über 6500 Zivilisten, zerstören Dörfer und Städte, verschleppen 60000 Belgier zur Zwangsarbeit. Damit niemand in die Niederlande flieht, ziehen die Deutschen einen Elektrozaun entlang der Grenze. 40 Prozent aller Kriegsopfer sind Zivilisten, Gewalt, Flucht, Vertreibung erreichen neue Dimensionen - mit dem Völkermord an den Armeniern kommt es zum ersten Mal zu einem systematischen Genozid. Der Erste Weltkrieg, so lautet eine populäre Zuspitzung, endet in Auschwitz und Hiroshima.

Revolutionen, Bürgerkriege, Straßenkämpfe

Auf den Schlachtfeldern sterben neun Millionen Soldaten, viele Überlebende kommen verstümmelt oder seelisch zerstört nach Hause. Frieden finden sie selten: Die Zwischenkriegszeit in Europa ist geprägt von Revolutionen, Bürgerkriegen, blutigen Straßenkämpfen. In den 20er Jahren lautet die nationalistische Deutung schließlich: Deutschland habe den Krieg auch deshalb verloren, weil er nicht radikal genug geführt worden sei.

1914-1918. Der Erste Weltkrieg. Deutsches Historisches Museum, bis 30. November. Informationen: www.dhm.de