Essen. . Gerard Mortier, Gründungsintendant der Ruhrtriennale, erlag im Alter von 70 Jahren seinem Krebsleiden. Er holte internationale Künstler ins Ruhrgebiet und belebte Orte der Industriekultur auf ganz neue Weise. Noch im Januar hatte er in Madrid inszeniert.
Er war ein stets furchtloser Kämpfer und „Störenfried“, der für die Modernisierung der Oper in viele Schlachten ging und oft gegen enormen Widerstand alte Strukturen aufbrach. Seinen letzten Kampf, den gegen den Krebs, hat der Belgier Gerard Mortier mit 70 Jahren zwar verloren. Seine Errungenschaften und seine Ideen werden den Sohn eines Bäckers aus Flandern aber überleben.
In Deutschland bewies er seinen Innovationsgeist unter anderem 2002 als Gründungsintendant der Ruhrtriennale in Essen. Internationale Künstler – Peter Brook, Ariane Mnouchkine, Robert Wilson oder Peter Sellars – holte er ins Ruhrgebiet, belebte Orte der Industriekultur auf ganz neue Weise.
„Die Schwerindustrie hat etwas Philosophisches“, begründete er damals seine Faszination: „Denn gearbeitet wurde mit den vier Elementen – Feuer, Wasser, Luft und Erde, und zwar verdichtet und bis zum Extrem. Aber es geht auch um die Menschen, die dort gearbeitet haben mit ihren Leidenschaften, Sehnsüchten und Träumen.“ Noch im vergangenen Jahr sagte er in einem Gespräch mit dem Kulturmagazin K.West, unter all seinen Aufgaben sei „dieses Festival das faszinierendste“ gewesen.
Ruhrtriennale war „faszinierend“
Intensiv – so war alles, was er tat. „Er war zweifellos derjenige, der die Welt der Oper in den vergangenen Jahren am stärksten beeinflusst und verändert hat“, sagte Mortiers letzter Chef, Gregorio Marañón, Stiftungspräsident des Madrider Teatro Real, nach Bekanntwerden des Todes am Sonntag. Dabei hatte das „Enfant terrible“ erst vor wenigen Monaten am Madrider Opernhaus seinem Ruf alle Ehre und viel Ärger gemacht. Als er im Herbst – drei Jahre vor Ablauf seines Vertrages – abgelöst werden sollte, hatte er zunächst protestiert: „Man kann mich nicht hinauswerfen“, hatte sich Mortier gewehrt. „Ich habe zwar Krebs, aber ich bin nicht tot, auch wenn dies einigen gefallen würde.“ Ein halbes Jahr kämpfte er noch.
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Ende Januar erlebte er seine letzte Premiere, die Uraufführung von „Brokeback Mountain“, jener als Film weltberühmt gewordenen Oper nach einer Novelle über zwei schwule Cowboys von Annie Proulx, vertont von Charles Wuorinen.
Noch Ende Februar hatten die Fachzeitschrift „Opernwelt“ und der Grazer Opernwettbewerb „Ring Award“ einen nach Mortier benannten Preis ins Leben gerufen. Dabei würdigten sie ihn als Wegbereiter für ein neues Verständnis von Oper. Der Glaube an die Modernität der Oper habe das Denken und Handeln Mortiers nachhaltig befruchtet, hieß es. Eine späte Ehre aus Österreich.
Als Mortier Ende der 1980er Jahre als Nachfolger der „Institution“ Herbert von Karajan zum Intendanten der Salzburger Festspiele berufen wurde, rümpften die „Traditionalisten“ der klassischen Musik empört die Nase. Kein Wunder, hatte doch der damals junge Belgier sie schon so oft mit scharfen Worten attackiert. Bei der Oper denke er „nur an Krankenpflege“, schimpfte er, sie werde „als Kunstform untergehen“, prophezeite er seinerzeit barsch.
Aufgrund des Krebsleidens war Mortier zuletzt sichtlich abgemagert. Trotz der Krankheit arbeitete er unermüdlich weiter. Mit Nachfolger Joan Matabosch sprach er sich über das Programm ab. „Ich werde mich in Deutschland und in Brüssel behandeln lassen müssen, aber ich habe täglich Kontakt mit meinen Mitarbeitern. Arbeiten und nachdenken – das ist für mich die beste Methode, die Krankheit zu bekämpfen“, hatte er erklärt.
„Arbeiten und nachdenken“
Mortier war 2010 eher zufällig nach Madrid gekommen. Er hatte damals von Paris nach New York wechseln wollen. Er verzichtete dann aber auf den Posten in den USA, weil die City Opera ihr Budget kürzen musste. Bald darauf musste auch das Teatro Real Abstriche machen. „Wir wollen uns mit La Scala in Mailand messen, haben aber nur ein Viertel der Finanzmittel“, hatte sich Gerard Mortier noch vor einigen Monaten beklagt – kämpferisch bis zuletzt. (mit dpa)