Essen. Christof Loy feiert Premiere in seiner Heimatstadt und inszeniert im Essener Aalto-Theater Vincenzo Bellinis Belcanto-Rarität “La Straniera“. Er beleuchtet die von Unwahrscheinlichkeiten geprägte Geschichte mit psychologischem Feinsinn. Bis in die kleinen Partien hinein ist die Oper glänzend besetzt.

Sein lang erwartetes Regiedebüt am Opernhaus seiner Geburtsstadt gab Christof Loy jetzt am Essener Aalto. Ein ebenso bemerkenswertes Haus-Debüt gab die Sopranistin Marlis Petersen in der Titelpartie von Vincenzo Bellinis Oper „La Straniera“ („Die Fremde“), die wenige Jahrzehnte nach der triumphalen Uraufführung an der Mailänder Scala 1829 fast in Vergessenheit geriet.

Gemalter See, duftige Waldkulissen

Fremd und in hohem Maße unwahrscheinlich erscheint nicht nur die Handlung wie aus einem romantischen Schauer- oder Abenteuerroman jener Zeit. Fremd und wie aus Zeit und Leben gefallen wirken auch die beiden Protagonisten Alaide (die Fremde) und der junge Arturo, die nicht nur an ihrer unmöglichen Liebe (Alaide ist die in Bigamie verheiratete Königin von Frankreich), sondern ebenso an ihrer Umwelt nach allerlei möglichen und unmöglichen Wendungen dieser erzromantischen Geschichte zu Grunde gehen.

Duftige Waldkulissen

Loy nähert sich dem Stoff mit großer Zartheit und psychologischer Innenschau, arbeitet immer wieder mit Spiegelungen der Heldin, mal als Puppe, an der die aufgebrachten misstrauischen Dorfbewohner ihre angestachelte Wut auslassen, mal als stilisierte Königin-Braut, die den Abstand zwischen Traum und Wirklichkeit für Arturo nur umso größer erscheinen lässt.

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Dies alles spielt in einem schönen (und akustisch günstigen) holzgetäfelten Raum (Bühne: Annette Kurz), in dem Loy wie bei der Theatermaschinerie Seile ziehen lässt, als wären es Strippen. Der gemalte See, duftige Waldkulissen schweben auf und nieder. Auch auf der Bühne spielt man mit den romantischen Versatzstücken, die zugleich Bilder von Seelenschichten zu sein scheinen, die Loy in Ursula Renzenbrinks üppig historisierenden Kostümen behutsam durch die Szene choreografiert.

Makellose Stimme

Auch musikalisch lohnt die Reise. Marlis Petersen scheint die Straniera wie auf den Leib geschneidert. Hinreißende Piani, große Bögen und die für Bellinis Musik nötige Geläufigkeit einer ebenmäßig wie makellosen Stimme gehören zum Rüstzeug dieser hochmusikalischen Sängerin, deren Timbre mit dem biegsamen wie höhensicheren Tenor des jungen Ensemblemitglieds Alexey Sayapin aufs Schönste harmoniert. Bariton Luca Grassi gibt einen elegant-lyrischen Valdeburgo mit imposanter Höhe und Ieva Prudnikovaite prunkt als Isoletta mit rundem gleichmäßig geführten Mezzo.

Auch die kleineren Partien sind mit Benjamin Bernheim als Osburgo, Tijl Faveyts und Baurzahn Anderzhanov glänzend besetzt. Transparent, mit schönen Rubati und dennoch straff führt Josep Caballé Domenech Essens Philharmoniker durch die fragile Partitur und lässt die Sänger dabei sicher und wie mühelos die kostbaren Fäden von Bellinis Belcanto weben.