Berlin. 90 Prozent deutscher Museumsbestände schlummern im Depot. Vieles wird keineswegs kunstschonend gelagert. Dabei wartet in Kellern, Außendepots und auf Dachböden so manch vergessenes Kleinod. Das Stiftungsbündnis „Kunst auf Lager“ will die Museen nun unterstützen und sucht Paten für gefährdete Kunst.

Mäusefraß, vollgestopfte Regale, Tesafilm auf Druckgrafiken, Zeichnungen in säurehaltigen Pappmappen: Viele Museen behandeln ihre Sammlungen stiefmütterlich, in einigen Depots ist die Lage laut Experten gar „hochdramatisch“. Zwölf Stiftungen haben sich jetzt verbündet, um den Museen unter die Arme zu greifen. In Oberhausen rennen sie damit offene Türen ein: Die Ludwiggalerie hat ihre Depotkunst ans Licht geholt – und bereits ein Dutzend Paten für gefährdete Kunst gefunden.

Bis zu 90 Prozent der öffentlichen Sammlungen in den rund 6000 deutschen Museen lagern in Kellern, auf Dachböden und in Außendepots. „Die meisten Museen erforschen und zeigen nur die Highlights. Der Laie hat deshalb den Eindruck, dass in den Depots nur ‚Schrott’ oder die zweite Garnitur lagern.“ Michael Rief wacht über die Sammlungen der Städtischen Museen in Aachen und wünscht sich mehr Mut: Viele Museen würden auf den ausgetretenen Pfaden laufen, ihren Rembrandt, ihren Richter zeigen – und Schluss. Gerade kleinere Museen sollten sich mehr auf die Einzigartigkeit ihrer Sammlung verlassen.

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Unbedeutende Depotleichen oder vergessene Keller-Schätze?

Entdecke die Möglichkeiten: „Es kann durchaus vorkommen, dass in den Depots noch Werke lagern, deren Bedeutung uns bislang nicht klar ist – wir müssen eben viel mehr in die Keller gehen!“ Rief hat auf diese Weise manches Kleinod gefunden: Auf einer unscheinbaren Handglocke etwa entdeckte er einen Hinweis auf den berühmten, frühneuzeitlichen Humanisten Nikolaus von Kues, ein anderes Mal stellten sie bei Neuordnung der Bestände fest, dass Aachen die zweitgrößte historische Bestecksammlung in Deutschland hat.

Jetzt machen sie den Blick ins Depot zum Motto einer Dauerausstellung – der Aachener „Staun- und Wunderkammer“. Gezeigt werden Sammlungsschätze, die zum Teil seit Beginn des Zweiten Weltkriegs eingelagert waren.

Museen stehen unter finanziellem Druck – es fehlt an Geld, Personal und Zeit

Aber: Kommen die Besucher nicht vor allem wegen der Rembrandts? „Besucherzahlen spielen heute eine Wahnsinnsrolle“, räumt Sebastian Giesen von der Hamburger Hermann Reemtsma Stiftung und Mitinitiator des Stiftungsbündnisses „Kunst auf Lager“ ein. „Der finanzielle Druck auf kleinere Häuser ist enorm.“ Um die Kunst in den Depots zu sichten, zu sichern und ans Licht zu holen, fehlt Geld, Personal und Zeit. „Und natürlich“, sagt Rief, „fragen sich die Haushälter in den armen Kommunen, warum sie Geld für angebliche Depotleichen ausgeben sollen.“

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In einzelnen Museen sei die Lage sogar „hochdramatisch“, weiß Giesen. Manche Außendepots seien so vollgestopft, dass die Mitarbeiter gar nicht mehr an die Sammlungsbestände heran kämen. Seine Stiftung hat in den letzten drei Jahren rund 750 000 Euro ausgegeben – etwa für neue Grafikschränke im Museum für Hamburgische Geschichte und für die Restaurierung einer Schinkelschen Sitzgruppe aus dem Berliner Schloss Glienicke, die lange unerkannt im Depot geschlummert hatte.

Depot-Patenschaften und Stiftungsbündnis sollen helfen

„Das geht so nicht. Da muss was passieren.“ Christine Vogt, Leiterin der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen, hat schon vor einiger Zeit ihr Depot gesichtet und beschlossen: ans Licht damit! Jetzt zeigt sie zum dritten Mal Arbeiten aus der „Sammlung O“ (bis 21. April), darunter Alte Meister und Grafiken von Otto Dix und Max Beckmann. Die Aktion kommt an: Vogt hat mittlerweile zwölf Patenschaften für gefährdete Depotwerke verabredet – der eine spendet 250 Euro für die Reinigung einer Grafik, der andere 3000 Euro für die Restaurierung größerer Arbeiten. Das neue Stiftungsbündnis „Kunst auf Lager“ kommt für sie zum richtigen Zeitpunkt: Gerade die Ruhrgebietsmuseen, die finanziell „alle knapp am Limit oder auch schon darunter“ arbeiteten, könnten von dieser Initiative profitieren.

Bei „Kunst auf Lager“ geht es unterdessen längst nicht nur um vergilbte Zeichnungen und verstaubte Leinwände: Die Wüstenrot Stiftung hat in den letzten fünf Jahren 450 000 Euro ausgegeben - vor allem zur Sicherung von Kunst aus dem 20. Jahrhundert. Die drängende Frage: Wie geht man mit Bildstörungen bei Videokunst um oder dem rasanten Verfall digitaler Trägermedien? Alte Meister sind am Ende nicht nur robuster, sondern auch pflegeleichter.