Essen. . Schauspielerin Charlotte Gainsbourg hat einmal mehr die Hauptrolle in einem Film des dänischen Exzentrikers übernommen. Im Interview offenbart sie, dass ihre Kinder vom Trubel um den Film unberührt blieben – und was die Langfassung von „Nymphomaniac“ der gekürzten in unsere Kinos voraus hat.

Sie ist die Tochter des französischen Künstlers Serge Gainsbourg und der britischen Schauspielerin Jane Birkin. Als Zwölfjährige gab Charlotte Gainsbourg mit „Duett zu dritt“ ihr Kinodebüt. Seit 2008 arbeitet sie mit dem Regisseur Lars von Trier zusammen. Für „Antichrist“ bekam Gainsbourg die Goldene Palme in Cannes, und auf „Melancholia“ folgt mit „Nymphomaniac“ der dritte Streich des Dänen, der wegen seiner freizügigen Darstellung seit Wochen für Wirbel sorgt. Jetzt kommt er in ei­ner gekürzten Fassung in die deutschen Kinos. Erzählt wird in acht Kapiteln die Lebens- und Leidensgeschichte der Nymphomanin Joe. Mit Charlotte Gainsbourg (42) un­terhielt sich Dieter Oßwald.

Madame Gainsbourg, ist „Nymphomaniac“ ein Skandalfilm?

Charlotte Gainsbourg: Für mich ist das kein Skandalfilm! Mich hat keine einzige Szene darin schockiert. Der Film ist viel interessanter und tiefgründiger als all die Kommentare, die es dazu gibt. Natürlich will „Nymphomaniac“ auch provozieren. Aber das Provokative passiert mit viel Humor – jenem typischen Humor von Lars von Trier und seiner dunklen Seite.

Sie wuchsen mit einem provokativen Vater auf. Hat Sie diese Jugend auf Lars von Trier vorbereitet?

Gainsbourg: Möglicherweise ist das so. Die beiden sind sich im Grunde überhaupt nicht ähnlich, dennoch versuche ich immer wieder, Verbindungslinien zwischen ihnen zu entdecken. Was diesen Drang zur Provokation betrifft, gibt es allemal eine Schnittmenge zwischen meinem Vater und Lars.

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Dreharbeiten mit Vaginal-Prothese

Wie gut kennen Sie einander?

Gainsbourg: Ich glaube, dass ich Lars ein bisschen verstehe, aber kennen tue ich ihn nicht. Während er umgekehrt wohl absolut alles über mich weiß und mich regelrecht lesen kann, worauf ich mich auch gerne bei ihm einlasse. Was unsere Arbeit betrifft, gab es eigentlich nie eine großartige Entwicklung. Unsere Basis ist vor allem sehr großes Vertrauen.

Immerhin sollen Sie eine Vaginal-Prothese getragen haben…

Gainsbourg: Stimmt, ich habe diese Vaginal-Prothese - aber solche netten, kleinen Dinge werden Sie erst in der ungeschnittenen Version zu sehen bekommen. (Lacht) Diese Prothese war kein unbedingtes Vergnügen: Morgens um acht ging ich in die Maske und es dauerte zwei Stunden, bis dieses Ding endlich passend angebracht war. Immerhin ist die Erinnerung daran rückblickend sehr lustig.

Haben Sie keine Probleme mit Sex-Szenen?

Gainsbourg: Nach „Antichrist“ wusste ich, dass Lars ein sehr respektvoller Regisseur ist. Da die Nacktszenen erst in der Postproduktion entstanden, konnte ich beim Drehen immer bekleidet bleiben. Da gibt es ebenso wenig Geschlechtsverkehr wie später bei den Masochismus-Szenen. Von daher war Nacktheit kein Pro­blem für mich.

Was hat die ungeschnittene Version, die nur auf der Berlinale zu sehen war, mehr zu bieten als die Kinofassung?

"Die Zensur fängt immer früher an"

Gainsbourg: Von der Fünfeinhalbstunden-Fassung war ich absolut begeistert, das war ein echter Energie-Kick. Die ge­kürzte Kinoversion fand ich enttäuschend, weil es eben nicht mehr die Version von Lars ist.

Wie reagieren Ihre drei Kinder auf einen Film mit einer nackten Mutter?

Gainsbourg: Ich habe mit ihnen darüber gesprochen und dass manche Leute glauben würden, ich hätte tatsächlich Sex in diesem Film. Französische Zeitungen hatten die Geschichte ja bereits auf den Titelseiten – aber darauf haben meine Kinder überhaupt nicht reagiert.

Welche Reaktionen des Publikums erwarten Sie?

Mann und Kinder

Während der Dreharbeiten zu „Nymphomaniac“ stillte Charlotte Gainsbourg ihren neugeborenen Sohn Joe, der heute zwei Jahre alt ist.

Mit ihrem Mann, dem französischen Schauspieler und Regisseur Yvan Attal, hat sie zwei weitere Kinder, Sohn Ben (16) und Tochter Alice (11).

Gainsbourg: In meiner Heimat Frankreich wurde bereits der Trailer als Provokation aufgefasst, was mich überrascht hat. Ich dachte, der Film könnte ganz normal in die Kinos kommen, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Die Stimmung wird zunehmend moralischer und die Zensur fängt immer früher an – diese Entwicklung bedaure ich.

"Ich glaube, wir bewegen uns gesellschaftlich rückwärts"

Wären die Reaktionen auch so, wenn diese Geschichte aus der Sicht eines Mannes erzählt würde?

Gainsbourg: Vermutlich nicht, was umso bedenklicher stimmt. Ich habe den Eindruck, wir bewegen uns gesellschaftlich rückwärts. In den 70er- Jahren gab es viel mehr Platz für wilde Ideen und größeren Mut für Dinge. Heute haben alle Angst. Umso mehr liebe ich Lars, der keine Kompromisse macht.

Dreht von Trier seine Filme zur Selbsttherapie?

Gainsbourg: Therapie würde ich das nicht nennen. Aber er will sich mit seinen Filmen öffnen und preisgeben. Dabei finde ich ihn absolut ehrlich, er hat keine Angst davor, seine Verletzlichkeit und seine dunklen Seiten zur Schau zu stellen.

Unter anderem drehen Sie mit Wim Wenders. Wie unterscheidet sich Wim von Lars?

Gainsbourg: Die beiden arbeiten völlig unterschiedlich, schon allein deshalb, weil Wenders in 3D dreht. Dieser ganze technische Aufwand ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Gemeinsam ist beiden, dass sie immer wieder mit ihrem vertrauten Team arbeiten, was für eine sehr angenehme und familiäre Atmosphäre beim Dreh sorgt.

Wird es neue gemeinsame Filme mit Lars von Trier und Ihnen geben?

Gainsbourg: Ich habe Lars nicht danach gefragt. Ich fürchte, er wird mir keine weiteren Rollen anbieten. Er hat jetzt alles gesehen, was ich zeigen kann.