Berlin. . Der Run auf die Voraufführung war enorm. Ein abschließendes Urteil über Lars von Triers schon im Vorfeld als skandalträchtig wahrgenommenen Film „Nymphomaniac“ lässt sich wohl erst fällen, wenn die gekürzte Kinofassung kommt. Dominik Grafs Schiller-Film ist eine Nummer zarter, mindestens.
Der Däne Lars von Trier hat Frauen schon in vielen seiner Filme leiden lassen, hat ihnen von „Breaking the Waves“ über „Dancer in the Dark“ bis „Dogville“ nichts an Erniedrigung erspart.
In seiner neuen Arbeit „Nymphomaniac“ jedoch, dessen erster Teil auf der Berlinale in der 145-minütigen Director’s Cut-Version seine Uraufführung erlebte, bleibt die sexsüchtige weibliche Hauptfigur Joe bisher immer Herr der Lage – auch wenn sie zu Beginn von einem alternden Junggesellen zerschunden in einem Hinterhof aufgelesen wird. Ihm wird sie aus ihrem Leben mit all den vielen Männern erzählen.
Ansturm auf Lars von Triers Film
Der Ansturm auf die Vorführung war enorm, hatte von Trier doch so etwas wie einen Porno versprochen, die Rede war von Body Doubles aus der Hardcore-Branche und von Geschlechtsteil-Imitationen bei den Hauptdarstellern. Ein wenig davon kommt denn auch tatsächlich zum Einsatz, als sexuelle Stimulanz jedoch mag das so gar nicht funktionieren. Tatsächlich ist dies ein langes Zwiegespräch mit Rückblenden zwischen einer Nymphomanin (Charlotte Gainsbourg) und ihrem Retter (Stellan Skarsgard), der die Beutezüge seines Gastes in Sachen Männer gerne mit der Praxis des ihm wohlvertrauten Fliegenfischens übersetzt.
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Joe ist eine Frau, die mit ihrem Tun fortgesetzt Krieg führen will gegen die Liebe, die für sie immer ein unechtes Gefühl bleiben wird. Deshalb auch verführt sie schon in jungen Jahren (hier gespielt von Stacy Martin) mit Vorsatz einen Zugreisenden, der gerade auf der Fahrt zu seiner Gattin ist, um an deren fruchtbaren Tagen endlich das Kind zu zeugen, was sich beide schon lange gewünscht haben. Und deshalb zerstört sie mal eben eine Ehe, ohne dass ihr der Vater von drei Kindern auch nur irgendwie wichtig gewesen wäre. Manchmal nimmt das Zwiegespräch aber auch grotesk-komische Formen an, wenn der alte Mann davon erzählt, wie man vom Schneiden der Fingernägel auf das Wesen von Menschen schließen kann. Und Joe ihm vorrechnet, dass sämtliche bis heute abgeschnittene männliche Vorhaut aneinandergereiht bis zum Mars und wieder zurück reichen würde. Endgültiges über „Nymphomaniac“ aber wird man erst sagen können, wenn der dann um 30 Minuten kürzere erste Teil am 20. Februar und der zweite am 3. April in die Kinos kommen.
Dominik Graf schickt Friedrich Schiller ins Bären-Rennen
Einen Orgasmus immerhin gönnt Regisseur Dominik Graf auch dem Großdichter Friedrich Schiller (Florian Stetter) in seinem Film „Die geliebten Schwestern“, einem von vier deutschen Filmen, die auf der Berlinale dieses Jahr ins Bären-Rennen gehen dürfen. Nach acht Jahren Kinopause meldet sich der vielfache Grimme-Preisträger nun also zurück mit einem fast dreistündigen Film, in dem von der Dreiecksbeziehung Schillers mit den Schwestern Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung) und Charlotte von Lengefeld erzählt wird. So luftig und leicht wirken diese Sommerbilder aus Thüringen, dass man sich fast an die schwerelosen Filme eines Eric Rohmer erinnert fühlt. Dass Graf die Sicht später immer stärker einengt, ist die optische Entsprechung zu der allmählich zerbrechenden Menage à trois.
Immerhin ist dies auch schon der einzige der deutschen Beiträge, der nicht gänzlich in Richtung Elend und Bedrängnis steuert. Florian Stetter, gerade noch Schiller, verkörpert in „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann den Pfarrer einer traditionalistischen Priesterbruderschaft, der mit seinen Reden die 14-jährige Maria in einen tiefen Konflikt stürzt. Die Passion dieses unglückseligen Mädchens, das auch daheim bei den strenggläubigen Eltern keine Hilfe findet, übersetzt der Regisseur in die 14 Bilder des Kreuzwegs Jesu. Es beeindruckt die Strenge der Gestaltung, die bis zum Schluss bei jedem Bild der Kamera jegliche Bewegung untersagt und die Todessehnsucht Marias deshalb auch so unausweichlich erscheinen lässt.
„Jack“, ein deutscher Großstadtfilm
Überfordert vom Leben ist auch der 10-jährige Jack in Edward Bergers gleichnamigem Großstadtfilm, dem bisher dritten deutschen Beitrag im Berlinale-Wettbewerb. „Jack“ berichtet von der Einsamkeit eines Kindes, das für seinen kleinen Bruder sorgen muss, weil die junge Mutter sich viel zu selten daheim sehen lässt. Atemlos und immer verschwitzt versucht Jack, allen Anforderungen gerecht zu werden, driftet mit dem kleinen Manuel durch die Nacht in der Peripherie Berlins, sucht nach Essen, landet im Jugendheim, flieht. Die Handkamera befindet sich dabei stets auf Augenhöhe des Protagonisten, begnügt sich aber mit der reinen Abbildung, sucht nicht nach eindrücklichen Bildern. Ein redlicher Film, immerhin, der immer so aussieht, als sei er für das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF entstanden.