Klar, wer sich schnell schämt, sollte sich “Nymphomaniac“ nicht ansehen. Dass von Triers Sexdrama vor expliziten Szenen strotzt, ist keine Überraschung. Dass er künstlerisch so in die Tiefe geht, schon. “Nymphomaniac“ ist kein Porno, aber ein Film voll von Sex.
Die Filme des Dänen Lars von Trier sind immer für einen Skandal gut. Was jedoch der Tatsache keinen Abbruch tut, dass nur wenigen zeitgenössischen Regisseuren Filme von einer derartigen Wucht gelingen. Vom Inhalt her mögen sie provozieren, die Bilder und die atmosphärische Gestaltung aber bleiben lange im Gedächtnis haften.
Als Abschluss seiner „Depressions-Trilogie“, zu der auch „Antichrist“ und „Melancholia“ gehören, hatte von Trier mit dem ihm eigenen Humor tatsächlich einen Pornofilm angekündigt. Nun liegt „Nymphomaniac“ vor, ein Film tatsächlich voll von Sex und gelegentlich auch gut erkennbaren Genitalien, beileibe aber kein Porno, weil es hier statt um Stimulation eher um das Tragische eines Krankheitsbildes geht.
Und von einer solchen Länge, dass der Regisseur ihn, vermutlich aus Gründen der Vermarktbarkeit, in zwei Teilen ins Kino bringt.
Sexsüchtige findet Beichtvater
Von Trier lässt hier die etwa 50 Jahre alte Joe (Charlotte Gainsbourg) aus ihrem Leben erzählen, das schon sehr früh von einer unstillbaren Sexsucht geprägt ist. In dem alten Junggesellen Seligman (Stellan Skarsgard) hat sie so etwas wie den idealen Beichtvater für all ihre Exzesse gefunden. Er hat sie zerschunden und zerschlagen im Hinterhof aus der Gosse gezogen und ihr eine vorläufige Bleibe angeboten. Ihm gegenüber öffnet sie die geheimsten Kammern ihres nach ständiger Befriedigung gierenden Daseins, was den Zuhörer nur anfangs ein wenig zu irritieren vermag.
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Was Joe vor ihm ausbreitet, von der gefühllosen Entjungferung bis zu ihren zahllosen Sexpartnern, versucht der belesene Seligman, fast schon als Selbstschutz, ganz in seinen eigenen Kosmos zu übertragen. Einen Zug zu durchkämmen auf der Suche nach Opfern für ein kurzes Toilettengerammel, das weist für ihn Parallelen zum Fliegenfischen auf. Das Organisieren von zehn, zwölf Liebhabern pro Nacht erinnert ihn an die von Bach praktizierte musikalische Polyphonie.
Joes Leben im Wechsel von Rückblenden und intimem Zwiegespräch zu erzählen, funktioniert vorzüglich. Und auch die Tatsache, dass es hier augenscheinlich um einen Fall von Selbstdestruktion geht, hindert von Trier nicht daran, mit seinem ganz speziellen Humor noch eine gewisse Leichtigkeit zu bewahren. In Teil 2, ab 3. April im Kino, kommt das Dunkel noch früh genug.
Wertung: 4 von 5 Sternen