Bayreuth. Zwischen Trillerpfiffen und Bravo-Rufen nahm der als Provokateur berüchtigte Regisseur Frank Castorf gelassen die Publikumsreaktion in Bayreuth in Empfang. Mit der „Götterdämmerung“ schloss sich sein Inszenierungsreigen vom „Ring des Nibelungen“.

Siegfried schafft es niemals bis New York. Er lässt sich im Hinterhof von „Plaste und Elaste Schkopau“ ermorden. Mit dem Bayreuth-üblichen Brüll-Duell zwischen Buh- und Bravo-Rufern für Regisseur Frank Castorf ist der neue „Ring“ nach der „Götterdämmerung“ nun vollendet. Die organisierte Buh-Fraktion hat diesmal sogar Trillerpfeifen im Einsatz.

Ziel des Geschreis ist es nicht nur, Kritik an der Regie zu üben, sondern diejenigen mundtot zu machen, die Castorfs „Ring“ Beifall klatschen. Der Regisseur setzt sich den Reaktionen minutenlang aus und zeigt den Buhern auch den Vogel.

Castorf erzählt die „Götterdämmerung“ ziemlich konventionell - der Stoff ist zu stark, um ihn zu ironisieren. Allerdings stellt er die Geschichte in eine Kulisse, die erschütterndes Verhängnis mit scheinbar Banalem zusammenprallen lässt.

Wie ein Leitmotiv ist wieder der betagte Alu-Wohn­wagen, der schon aus „Rheingold“ und „Siegfried“ vertraut ist, in der Szene geparkt. Er bildet den Schauplatz vergeblicher Nestbau-Versuche: Brünnhilde und Siegfried erproben hier solange ein kleines häusliches Glück, bis der Held vor Langweile eingeht und zur Fahrt in sein Verderben aufbricht. Gutrune mischt darin als übrig gebliebenes Mädchen den Vergessens-Trank, um sich endlich einen Ehemann zu angeln.

Gigantisches Bühnen-Bauwerk

Alle diese spießbürgerlichen Anwandlungen werden regelrecht überschattet von dem gigantischen Bauwerk, das Bühnenbildner Aleksandar Denic auf die Drehbühne stellt. Es ist menschenfeindliche Fabrik und abgeschrammelter Hinterhof zugleich, in dem ­Gutrune und Gunther einen Döner-Stand betreiben, wo Hagen als Stadtindianer den brutalen Paten gibt und die Nornen einen Voodoo-Altar installiert haben.

Und der Monumentalbau ist in einer weiteren Umdrehung das Ziel aller Gier: die klassizistische Fassade der New Yorker Börse, die von „Plaste und Elaste“ sowie der Döner-Box so himmelweit entfernt ist wie Hagen vom Besitz des Rings. Diese Räume faszinieren in ihrer Wucht und zugleich durch die vielen liebevollen originalgetreuen Details, mit denen sie ausgestaltet sind.

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Doch, das zeigt Castorf, ist die Gier der kleinen Leute nicht weniger tödlich als die Gier der Global Player. Regie und Bühnenbild schaffen eine rätselhafte Andersrealität, in der sich die Zeitebenen mischen, eine Isetta mit Döner-Brötchen eine friedliche Koexistenz eingeht und Autos die Fetische der Spießer-Sehnsüchte sind.

Es hat wohl noch nie in Bayreuth eine derart aufwendige Bühnenkonstruktion gegeben wie bei diesen vier „Ring“-Opern. In der „Götterdämmerung“ wächst sie treppenreich derart in die Höhe, dass einem beim Betrachten regelrecht schwindelig wird und bleibt doch stets sängerfreundlich.

Plakate rufen „Wir hungern“

Gunthers Mannen demonstrieren wie nebenbei, dass es eine noch dringlichere Gier gibt als die nach Geld und Gold. Sie streiken und tragen Plakate mit der Aufschrift „Wir hungern“. Wie zum Hohn kippt der namenlose Mystery Man einen Kinderwagen voller Kartoffeln über der monströsen Treppe aus, auf der Brünnhilde ihren großen Auftritt hat - eine Göttin, die im goldglitzernden Kleid zur Diva wird.

Das „Heil dir, Gunther“ zählt zu den großen Momenten des Abends. Denn der Männerchor, der zuvor noch sein Alpha-Männchen Hagen bejubelt hat, erstrahlt nun in einem sensationell langsam anschwellenden Crescendo. So ­etwas hört man nur in Bayreuth.

Dirigent Kirill Petrenko bleibt ­diesem Moment musikalisch ebenso wenig schuldig wie Siegfrieds Trauermarsch. Und doch beweist Petrenko erneut gerade in der ­Zurückhaltung seine große Kunst: Wieder arbeitet er die unterschwelligen Naturlaute heraus. Das ­Herzklopfen von Hagens Angst und der schwere Tritt des Trauermarschs lauern stets im Hintergrund. Dabei klingt die Partitur frisch, pulsierend und völlig ­pathosfrei. Dieses „Ring“-Dirigat schreibt Geschichte.

Auch "Siegfried" erntet Buh-Rufe vom Publikum

Heldentenor Lance Ryan als Siegfried fängt sich vom gnadenlosen Publikum ebenfalls Buh-Rufe ein. Tatsächlich klingt seine Stimme in der „Götterdämmerung“ angestrengter als noch im „Siegfried“, doch wer will darüber bei dieser mörderischen Partie richten? Catherine Foster bleibt bis zum Schluss eine Brünnhilde der leisen Töne und der mit dunklem Feuer gehärteten Zwischen-Farben.

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Attila Jun ist ein Hagen mit nachtschwarzem Bass, ein Krieger ohne Gnade und ein vom Vater Alberich Getriebener ohnehin. Alejandro Marco-Buhrmester singt den Gunther mit schönem Bariton und sieht aus wie ein schwuler Friseur, was vielleicht erklärt, warum er die Sache mit Brünnhilde nicht auf die Reihe kriegt.

Allison Oakes ist eine etwas schrille Gutrune und Mezzosopranistin Claudia Mahnke eine stimmgewaltige Waltraute. In Bayreuth singen Künstler kleinere Partien, die an ihren Heimatbühnen die Stars sind: So ist Christiane Kohl in der „Götterdämmerung“ die dritte Norn und in der „Walküre“ die Helmwige; an der Dortmunder Oper ist sie die künftige Elisabeth.

Übermächtige Vaterfiguren und Gier

Ein „Öl-Ring“ sollte es werden, doch das Öl zieht sich seit „Siegfried“ allenfalls noch als abgestreute Ölspur durch Castorfs „Ring“-Konzept. Das braucht man nicht zu bedauern. Denn was die Figuren antreibt kommt ebenso klar wie werkgetreu heraus: übermächtige Vaterfiguren und Gier. Neben den außerordentlich starken Bildern des „Rheingoldes“ und der „Walküre“ muss man über den etwas schlapperen „Siegfried“ noch mal nachdenken. Die „Götterdämmerung“ steht für sich selbst.