Salzburg. Michael Thalheimers radikale Neuinszenierung von Friedrich Schillers Drama “Die Jungfrau von Orleans“ hat bei der Premiere bei den Salzburger Festspielen ein geteiltes Echo hervorgerufen. Während Kathleen Morgeneyer in der Titelrolle mit Ovationen bedacht wurde, erntetet der Regisseur auch Buh-Rufe.

Seinem Ruf als "Dramenskeletteur" hat Theaterregisseur Michael Thalheimer wieder einmal alle Ehre gemacht. Eigentlich passiert gute zwei Stunden lang nichts auf der leeren Bühne des Salzburger Landestheaters. Und die gefeierte Protagonistin des Premierenabends, die junge Kathleen Morgeneyer, steht fast die ganze Zeit an einem Fleck wie angewurzelt, nur von einem Spot-Scheinwerfer in grelles Licht gehüllt. Trotzdem ging die Premiere von Friedrich Schillers Historiendrama "Die Jungfrau von Orleans" am Sonntagabend bei den Salzburger Festspielen vielen Zuschauern unter die Haut.

Denn Thalheimer macht aus Schillers "romantischer Tragödie" um die angeblich von Gott gesandte Jungfrau, die das hoffnungslos unterlegene französische Heer im Hundertjährigen Krieg gegen England doch noch zum Sieg führt, bewegendes Schauspielertheater. Abseits weniger, zum Teil drastischer Gesten zählen hier vor allem die Sprechkunst der Darsteller und Schillers Sprachzaubereien, die kein bisschen verstaubt wirken.

Im Kern geht es nicht um das historische Ereignis

Johanna im weißen Kleid, in der linken Hand nur ein silberglänzendes Schwert, beleuchtet von einem grellen Spot wie eine göttliche Erscheinung. Wie Morgeneyer fast regungslos eineinhalb Stunden in dieser Pose verharrt, ist Guinnessbuch-verdächtig. Für einen Moment zieht sie sich ins Dunkel des Bühnenhintergrundes zurück, aus dem die anderen Figuren immer wieder abwechselnd oder in Gruppen nach vorne treten. Dann steht sie wieder auf ihrem Platz für den Rest des Abends, verliert jedoch langsam ihre göttliche Unnahbarkeit und ihren Hass auf die feindlichen "Inselbewohner", der ihr als Furcht erregende Fratze ins Gesicht geschrieben steht.

Im   Kern geht es hier nicht um ein historisches Ereignis, wie auch immer es sich zugetragen hat. Es geht um die Verwandlung eines zarten Mädchens, Tochter eines einfachen Bauern, in eine Kriegsgöttin und wieder zurück - durch die Kraft der Liebe. Johanna nämlich bricht ihr Gelübde der Jungfräulichkeit und verliert ihr Herz ausgerechnet an Lionel, einen englischen Anführer. Am Ende sieht man sie ohne Schwert, das weiße Kleidchen mit Blut besudelt, in ein nun wärmeres Licht getaucht.

Buh-Rufe gehen in Jubelorkan unter

Menschlichkeit triumphiert über den fanatischen Glauben an die "gute Sache", Glück oder zumindest die Sehnsucht danach über "Größe". Doch ein Happy End hat diese Geschichte nicht. In der historischen Realität stirbt Johanna als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen, bei Schiller auf dem Schlachtfeld. Thalheimer lässt das offen.

Neben Morgeneyer zeigten Christoph Franken als ebenso schwacher wie bemitleidenswerter König Karl der Siebente, Almut Zilcher als seine Mutter, Königin Isabeau, und Meike Droste als Agnes, des Königs Geliebte, nachhaltige Präsenz. Ohne das überzeugende Schauspielerteam des Deutschen Theaters Berlin - die Salzburger Produktion kommt im September in der Hauptstadt heraus - hätte Thalheimers Dramenskelett wohl wie ein abgenagter Knochen geschmeckt. Trotzdem hatte der eine oder andere Zuschauer heftig zu kauen. Als Thalheimer auf der Bühne erschien, gab es kräftige Buhs, die jedoch alsbald in einem Jubelorkan untergingen. (dpa)