Bayreuth. Der neue “Ring des Nibelungen“ der Bayreuther Festspiele im großen Wagner-Jahr dürfte in die Geschichte eingehen. Regisseur Frank Castorf provozierte offen das Bayreuther Publikum. Es gibt reichlich Sex, tote Tiere und Theaterblut. die Zuschauer reagieren mit wütenden Proteststürmen, Pfiffen und Buh-Rufen.
Es ist der große Jubiläums-"Ring" im großen Wagner-Jubiläumsjahr, und er dürfte tatsächlich in die Geschichte der Bayreuther Festspiele eingehen. Denn selten dürfte ein Regisseur sein Publikum im ehrwürdigen Festspielhaus auf dem Grünen Hügel so provoziert haben wie Frank Castorf - und das liegt nicht in erster Linie an seiner umstrittenen Inszenierung von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen".
Es ist der Moment, auf den seit dem "Rheingold" alle gewartet haben: Castorf und sein Regie-Team treten nach der Premiere der "Götterdämmerung" zum ersten Mal auf die Bühne. Und es passiert das, was zu erwarten war nach dieser Inszenierung: Wütende Proteststürme brechen los, laute Buhs, Pfiffe, mehr als deutliche Unmutsbekundungen. Castorf steht einige Momente fast reglos da, und es mutet wie Größe an, dass er den Proteststurm nahezu stoisch über sich ergehen lässt.
Doch dann beginnt er zu gestikulieren. Er zeigt immer wieder auf die Zuschauer, fordert sie auf, lauter zu buhen, und tippt sich an die Stirn. Minutenlang stehen er und sein Team im wütenden Proteststurm, der nur von einigen wenigen "Bravo"-Rufen unterbrochen wird. Der Regisseur zeigt immer wieder auf seine Uhr: Er hat Zeit, er will nicht einknicken vor dem Publikum. Eine Provokation, die vor allem eines vermuten lässt: Ganz kalt lässt den Berliner das Bayreuther Missfallen nicht.
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Irgendwann lugt Dirigent Kirill Petrenko vorsichtig hinter dem Vorhang hervor - wohl um zu schauen, wie lange es noch dauert. Dann geht der Vorhang wieder auf und das Orchester lässt sich feiern. Langsam, ganz langsam, geht auch Castorf irgendwann von der Bühne. Vor dem Publikum verbeugt er sich nicht.
"Götterdämmerung" war das konsequente Ende eines inkonsequenten "Rings"
Vorher hat er mit der "Götterdämmerung" das konsequente Ende eines inkonsequenten "Rings" auf die Bühne gebracht - mit vielen Effekten, Seitenhieben und Bezügen zum Kalten Krieg und zur Teilung Berlins. Das stärkste Bild der Inszenierung - der Moment, als die Laken vom verhüllten Reichstag fallen und dahinter eine nahezu baugleiche New Yorker Börse zum Vorschein kommt (wer regiert hier eigentlich?) - dürfte mit dem kleinen Skandal nach der Aufführung beim Publikum leider kaum noch ins Gewicht fallen.
Eigentlich gebührte Castorf bis zu diesem Auftritt zuerst einmal Respekt. Im großen Richard-Wagner-Jubiläumsjahr im altehrwürdigen Bayreuther Festspielhaus so mit Wagners "Ring des Nibelungen" umzuspringen - dazu gehören Unverfrorenheit, eine gewisse, erfrischende Respektlosigkeit und Mut gleichermaßen.
Sex, tote Tiere und Schmierereien mit Theaterblut
Der Regisseur macht in Bayreuth seinem Ruf als "Werkzertrümmerer" alle Ehre und nimmt Wagners Mammutwerk genüsslich respektlos auseinander. Dafür greift er ganz tief in die Klischee-Kiste der Opernprovokation und lässt nichts aus, was klassischerweise bei einem konservativen Publikum für Unmut sorgen könnte: Sex, tote Tiere und Schmierereien mit Theaterblut.
Das soll wohl Ironie sein, ist zumindest anzunehmen. Dafür spricht, dass der Chef der Berliner Volksbühne auch die Bayreuther Bühnengeschichte nicht auslässt und immer wieder Seitenhiebe austeilt. Doch es bleibt ein schwerwiegendes Problem: Nimmt man diese kleinen Seitenhiebe und die unzähligen mehr oder weniger unterhaltsamen und oft eher weniger originellen Effekte weg, bleibt von Castorfs Inszenierung nicht mehr viel übrig.
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Castorf präsentiert ein ungeordnetes Brainstorming, dessen Thema leider nicht zwangsläufig Wagners "Ring" sein muss. Es scheint so, als versuche er sich gar nicht erst an einer Deutung des Werkes, seine Effekte sind reiner Selbstzweck, und das vielbeschworene Öl, das er doch eigentlich zu seinem Kernthema machen wollte, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die große "Ring"-Geschichte um Macht, Liebe und Verrat ist höchstens Grundrauschen, Schlüsselszenen verpuffen.
Das imposante, beeindruckende Bühnenbild von Aleksandar Denic und Castorfs Technik, die Sänger stets von einer Kamera verfolgen zu lassen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihm zum "Ring" inhaltlich nicht viel eingefallen zu sein scheint.
Auch Lance Ryan wurde ausgebuht
Doch Castorf ist nicht der Einzige, dem das Publikum nach dem letzten Teil von Wagners Tetralogie sein Missfallen kundtut. Auch der überraschend schwache Siegfried-Darsteller Lance Ryan muss ungewohnte Buhs einstecken - ebenso wie Attila Jun als Hagen. Gefeiert wird dagegen Catherine Foster als Brünnhilde.
Was den Bayreuther Jubiläums-"Ring" zusammenhält, ist allein die Musik, ist vor allem der Mann am Pult, Kirill Petrenko, der schon vorher als einer der besten seiner Generation galt und spätestens jetzt in den Dirigenten-Olymp aufrücken dürfte.
Und auch wenn Castorf vermutlich genau das nicht wollte, setzt er mit seiner "Ring"-Inszenierung eine Bayreuther Tradition fort: Begeisterndes und Bleibendes bei der Deutung der Wagner'schen Gedankenwelt hat es nämlich dort schon länger nicht gegeben. Hier machen seit einigen Jahren nicht mehr spannende Inszenierungen von sich reden, sondern vor allem herausragende musikalische Darbietungen mit den eigentlichen Stars im Orchestergraben. (dpa)