Bayreuth. Der neue Bayreuther “Ring“ ist ein musikalisches Meisterwerk. Daran ändern auch Buh-Rufe aus dem Publikum nichts. Denn sie gelten nicht der Musik, sondern dem Regisseur Frank Castorf. Er hat Probleme, Wagners “Siegfried“-Handlung in sein bisheriges Regie-Konzept zu integrieren.
Oh, dieser Siegfried! Während Brünnhilde in Liebe entbrennt, schielt der Held bereits nach neuen Röcken und rettet das außerplanmäßig auftretende Waldvögelein aus dem Maul eines Plastikkrokodils. Regisseur Frank Castorf deutet damit am Schluss der dritten "Ring"-Oper in Bayreuth wenig dezent an, dass Brünnhilde nicht die einzige Frau in dessen Leben bleiben wird.
Castorf hat erkennbar Probleme, Wagners "Siegfried"-Handlung in sein bisheriges Regie-Konzept zu integrieren. Er kann den Stoff nur erzählen, indem er ihn satirisch aufbricht. Das Publikum auf dem Grünen Hügel, das dem Berliner Regisseur bisher zwei Abende lang auffallend brav gefolgt ist, quittiert diese Premiere mit heftigen Buh-Rufen.
Eine unerhörte Interpretation von Wagners Noten
Musikalisch schreibt der neue Bayreuther "Ring" jedoch bereits jetzt Geschichte. Dirigent Kirill Petrenko interpretiert Wagners Notentext auf bisher unerhörte Weise. Nicht nur, dass er das phantastische Festspielorchester überwiegend leise spielen lässt, was die Partitur sensationell durchsichtig und leuchtend werden lässt: Petrenko hört vor allem die Unter- und Zwischentöne, die im Jubel der Hornruf- und Schmiedelied-Leitmotive sonst untergehen.
Im "Siegfried" ist es Fafners, des Drachen, Schnarchen und Schnauben, das sich unheildrohend durch die Szene schraubt, stets gegenwärtig als Menetekel der Gier, die den von Alberich verfluchten Ring zum tödlichen Sehnsuchtsobjekt werden lässt. Auch sängerisch setzt der "Siegfried" wieder Maßstäbe. Heldentenor Lance Ryan wirft sich mit Leidenschaft in die Titelrolle, schont sich keinen Takt lang und klingt trotzdem noch im Liebesduett mit Brünnhilde im dritten Akt ganz unverbraucht.
Im Siegfried geht es ums Heldenmachen
Burkhard Ulrich ist ein Mime mit fast kabarettistischer Tenor-Eleganz. Sorin Coliban spielt den Fafner als Halbwelt-Häuptling und singt ihn mit gefährlichem Bass. Mirella Hagen ist ein zuckersüßes Waldvögelein, und Catherine Foster kann an ihre Brünnhilden-Leistung aus der "Walküre" anknüpfen, indem sie die Partie mit vielen Zwischentönen köstlich ausleuchtet. "Heil dir Sonne" wird im Zusammenspiel von Sopran und Orchester so zum überwältigend impressionistischen Farbenzauber.
Wie macht man Helden? So lautet das Thema im "Siegfried". Frank Castorf und Bühnenbildner Aleksandar Denic verengen den verfügbaren Raum erst einmal durch erdrückende Vaterfiguren: Von Marx bis Mao hat Mime in einem Steinbruch die überlebensgroßen Köpfe kommunistischer Heiliger aus dem Fels gemeißelt.
An diesem klaustrophobischen Ort will sich der intellektuelle Nibelung (der optisch ein bisschen auf Bertolt Brecht getrimmt ist) den Waisen Siegfried zum nützlichen Werkzeug seiner Rache schmieden, scheitert aber, weil Siegfried asozial ist. Kaum hat er sich das von der Mutter vererbte Schwert nebst Kalaschnikow zu eigen gemacht, fliegen sämtliche Bücher aus Mimes Wohnwagen auf einen großen Haufen: Wer eine Waffe hat, braucht kein Wissen.
Krach um den Krach des Maschinengewehrs
Die Rückseite des Steinbruchs ist auf der Drehbühne der Berliner Alexanderplatz in schönster Ossi-Tristesse. Hier strandet Wotan und weiß nicht mal, wie man Spaghetti isst; hier lauert der namenlose Mystery Man aus dem "Rheingold" als Kellner im Hintergrund. Was eigentlich erhaben sein sollte, etwa Wotans Duett mit Nadine Weissmanns großartiger Erda, prallt mit grotesker Wucht in die Realität eines bedürftigen Alltags.
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Der Stadtwüste fällt auch Fafner zum Opfer, mit O-Ton von Siegfried erschossen. Über die Lautstärke des Maschinengewehr-Knalls gab es bei den Proben Krach zwischen Regisseur und Maestro, die Musiker überstehen die Stelle mit Ohrstöpseln.
Mit Erdöl hat Castorfs "Siegfried" nichts mehr zu tun, wohl aber mit Gier, der Gier des angesichts der übermächtigen Politväter Zukurzgekommenen, sich ein eigenes Leben aufzubauen und dafür über Leichen zu gehen. Wenn Siegfried bei Brünnhilde, der ersten Frau in seinem Leben, das Fürchten lernt, klingt der gefühlte Nachholbedarf der DDR-Bürger nach Konsum und einfach allem mit an. Das sind kluge Setzungen eines klugen Regisseurs, nur fügen sie sich nicht mit Raumlösung und Musik zur schlüssigen Interpretation zusammen.
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