Essen. Der polnische Pianist Rafał Blechacz vertrat kurzfristig den jungenhaften Feuerkopf unter den Tastenzauberern Evgeny Kissin, der wegen eines lädierten Fingers absagen musste. Blechacz erspielte sich üppigen Applaus mit einer markigen Beethoven-Sonate und einem intensiv interpretierten Chopin.

Das Wort Einspringer mag nach zweiter Wahl klingen, das Phänomen aber ist seit jeher Bestandteil des Opern- und Konzertbetriebs. Heisere Tenöre, abrupt vergrippte Sopranistinnen oder am Arm verletzte Pianisten: Alles schon dagewesen, und ein Hoch auf den Veranstalter, der binnen kurzer Zeit eben einen Einspringer präsentieren kann.

Wie jetzt das Klavier-Festival Ruhr in Essen. Endlich war es erneut gelungen, den jungenhaften Feuerkopf unter den Tastenzauberern, den Russen Evgeny Kissin für einen Auftritt zu gewinnen, da muss er wegen eines lädierten Fingers zwei Tage vor dem Konzert absagen. Glück im Unglück: Der Pole Rafał Blechacz, 2005 herausragender Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs, erweist sich als Retter in der Not. Und sein Spiel wird mit üppigem Applaus honoriert.

Die Karrieren der Einspringer

Solcherart Ritterlichkeit dem Publikum gegenüber kann bisweilen den großen Karriereschritt bedeuten. So war der französische Pianist Jonathan Gilad gerade 15 Jahre alt, als er 1996 in Chicago für den erkrankten Maurizio Pollini einsprang und damit den internationalen Durchbruch schaffte. Beim Klavier-Festival 2007 wiederum vertrat die Deutsch-Japanerin Alice-Sara Ott, 19 Jahre jung, die Russin Elena Bashkirova. Mit derartigem Erfolg, dass alsbald ein exklusiver Plattenvertrag winkte. Zwei Jahre später gab die damals kaum bekannte Georgierin Khatia Buniatishvili ihr Deutschlanddebüt beim Festival. Der Auftritt, an Stelle der erkrankten Hélène Grimaud, war gewiss einer ihrer Karrierestartpunkte.

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Bei Blechacz liegen die Dinge etwas anders. Der Chopin-Preis hat ihm zu frühem Ruhm verholfen, er ist längst kein Unbekannter mehr, und beim Klavier-Festival nun zum vierten Mal dabei. Wer den 28-Jährigen öfter gehört hat, wird erkennen, dass sein Spiel zunehmend an Reife gewinnt. Dafür steht etwa Beethovens 7. Sonate. Blechacz deutet sie in Essens Philharmonie mit furiosem Gestus, zum anderen als subtiler Klanggestalter.

Nervosität und Hast

Gänzlich frei aber bewegt sich der Pole nicht. Davon zeugt eine gewisse Nervosität, die ihn zur Hast verleitet. Durch markantes rhythmisches Spiel versucht der Pianist sich selbst zu zügeln. Beethovens Sonate gewinnt so markig Kontur. Bachs dritte Partita indes leidet eher unter der Schnelligkeit des Spiels.

Tief verwurzelt scheint Blechacz hingegen in der Klangwelt Chopins. Der Pianist meidet alles Salonhafte, versagt sich jegliche Spielerei mit verzögernden Tempi. Vielmehr hören wir das große Drama. Des Komponisten musikalische Spiegelung polnischen Leidens. Ein Nocturne wirkt unter Blechacz Händen wie ein böser Traum. Die „Polonaise militaire“ scheint zackige Kampfansage, die drei Mazurken op. 63 schwanken zwischen dunklem Raunen und heroischem Gestus. Und aus der funkelnden Virtuosität des dritten Scherzos schimmert gehörige Wehmut.