Essen. Im März ist Martin Walsers neuer Aphorismen-Band „Meßmers Momente“ erschienen. Er enthält auch Goldkörner der Wahrheit und manchen Ideen-Funken. Aber oft kommt der 85-Jährige doch mit einem großen Donner daher, der Entschiedenheit und Bescheidwissen suggeriert.

„Ich leide an Verfolgungswahn. Das ist das Einzige, was mich von meinen Verfolgern unterscheidet“, kalauert Martin Walser in seinem neuen Buch los. Was wie ein Witz daherkommt, der auf den Deckel von Franz Kafka geht, verrät schon gleich am Anfang dieses Aphorismen-Buches, welche Rolle Walser hier spielt: die des allwissenden Weltweisen. Was ihn nicht vor Plattitüden schützt: Am Ende der gut hundert Seiten steht die Einsicht: „Das Leben lacht. Mich aus.“

Seit 1985 hat Martin Walser eine ganze Serie von „Meßmer“-Büchern erscheinen lassen, die immer wieder zugespitzte Denksätze bereithielten, Gedankenbilder, Seelenaufschreie und wohlbedachte Halbgedichte, Kurzprosa mithin. „Meßmers Momente“, das neue, das heute in die Buchhandlungen kommt, prunkt oft mit Gegensätzen und Unvereinbarkeiten, die mit aller Wortgewalt in ein, zwei, drei Sätze gepresst sind: „Ich kann mich hoffentlich nicht auf mich verlassen.“

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Die Originalitätssucht treibt gelegentlich seltsame Blüten, „Jeder Tänzer hinkt, wenn er nicht tanzt“ – das gilt eben auch für manche Vergleiche. Überhaupt: Keine Wörter kommen in diesem Buch so oft vor wie „jeder“, „jede“ und „jedes“. Da will dann jeder, der bestraft wird, bestrafen. Und jeder, der Geld verdienen will, muss sich beleidigen lassen, „das muss jeder.“

So viel Entschiedenheit sorgt für ein donnerndes Auftreten. Und es könnte sogar Funken schlagen, wenn es beim Leser Zorn und Widerspruch hervorlocken würde, aber oft reicht der Provokationsgehalt nur für ein müdes Abwinken.

Goldkörner in Walsers Gedankenstaub

So bleibt es bei gelegentlichen Blitzen, denn da sind auch etliche Goldkörner in diesem Gedankenstaub. Und man sucht umso mehr mit Vergnügen danach, wenn man solche Sätze findet: „Zum Glück dauert keine Herrschaft, wenn auch jede zu lange dauert“. Oder: „Kein Genie zu sein und doch verkannt zu werden, das ist die Katastrophe.“ Walser darf das schreiben.

Es ist dann noch viel von der Sehnsucht nach Einsamkeit die Rede, von den Demütigungen des Lebens und vom Nicht-bei-sich-Sein, das früher mal Entfremdung hieß und auch schon Gründe hatte. Einmal aber gibt es auch einen guten Rat, der manche Psychotherapie ersetzen könnte: „Man muss, was man nicht weiß, schreiben, um es kennenzulernen.“

Martin Walser: Meßmers Momente. Rowohlt, 96 S., 14,95 €.