„Das dreizehnte Kapitel“, der neue Roman des Großschriftstellers Martin Walser, fängt stark an, lässt stark nach und endet stark. Er besteht aus lauter Briefen und E-Mails und stellt sich so in die Tradition von Goethes „Werther“ und Choderlos de Laclos’ „Gefährlichen Liebschaften“.

Darf man einen Romanhelden ungestraft Basil Schlupp nennen? Fast der einzige, der das darf, ist Martin Walser. Also hat er es getan. Der ältere Schriftsteller, der in Walsers am Freitag erscheinendem Roman „Das dreizehnte Kapitel“ in Briefen und E-Mails eine schöne, fremde, selbstverständlich jüngere Frau nicht nur zum Antworten verführt, heißt tatsächlich so. Bei der postalisch bezirzten Theologin steht Prof. Dr. Maja Schneilin auf dem Türschild, ihr Mann, als Molekularbiologe und Unternehmer eine Art Universalgenie, hört auf den Vornamen Korbinian.

Zwei „Dekorateure des Nichts“

Die drei begegnen sich bei einem Bankett, das der Bundespräsident zum 60. Geburtstag von Korbinian Schneilin ausrichtet, und diese Szenerie schildert Walser mit heißkalt lächelnder Ironie und gehässig scherzenden Sätzen wie „Ein Mann mit Fliege hat Sexualprobleme“. Für den bekenntnisfreudigen Schriftsteller Schlupp ist das Lügen eher eine linguistische als eine moralische Schwierigkeit, und er hält auch nicht damit hinterm Berg, dass er alle Frauen, die er sieht, im Geiste gleich auszieht: „Sie natürlich auch, gnädige Frau. Brechen Sie also den Verkehr, den es nicht gibt, mit mir, sofort ab“.

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Tut sie nicht. Irgendwann werden sie sich „Liebster“ und „Liebste“ nennen. Denn der schlaue Basil Schlupp, Autor des Bestsellers „Strandhafer“, lässt sich auf ein Gespräch über den Schweizer Theologen Karl Barth ein, den Hausheiligen seiner neuen Herzdame (über den auch Walser schon einen Aufsatz geschrieben hat). Von Gott als dem Anderen, dem Unbekannten ist also die Rede, vom Glauben „ohne Hoffnung auf Hoffnung“ und von seiner Einsamkeit, die ausgehalten werden muss, vom Verrat und irgendwie, aber stets nur indirekt, von der Liebe.

Als die beiden einmal, vom Zufall gesteuert, auf dem Flughafen Tegel aneinander vorbeigeschleust werden, ruft er ihr seine Mail-Adresse zu, und in dem intimen Bekenntnis-Austausch dieses Briefromans blinkt nun öfters das notorische „von meinem I-Phone gesendet“. Und doch gehen da eher langatmig allerlei Gefühls- und Seelenerkundungen hin und her.

Walser ahnte wohl, wie sehr diese fliegenden Briefe ins Trudeln geraten und führt einen heftigen Bruch in die platonische Brieffreundschaft ein, in der zwei glücklich Verheiratete mit dem Als-Ob spielen und mit dem Unmöglichen flirten: Maja ist verschnupft, als ein offenherziges Interview von Basil Schlupp unter dem treffenden Titel „Gelegenheit macht Liebe“ erscheint.

Leipziger Buchmesse

Der Schriftsteller Georg Klein erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2010 in der Kategorie
Der Schriftsteller Georg Klein erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2010 in der Kategorie "Belletristik". © APN
Sein Buch
Sein Buch "Roman unserer Kindheit" überzeugte.... © ddp
... und setzte sich gegen Helen Hegemanns Roman
... und setzte sich gegen Helen Hegemanns Roman "Axolotl Roadkill" durch. © ddp
In der Kategorie Übersetzung erhielt Ulrich Blumenbach den Preis der Leipziger Buchmesse.
In der Kategorie Übersetzung erhielt Ulrich Blumenbach den Preis der Leipziger Buchmesse. © ddp
Ulrich Raulff freut sich über den Preis für das beste Sachbuch...
Ulrich Raulff freut sich über den Preis für das beste Sachbuch... © ddp
... mit dem Titel
... mit dem Titel "Stefan Georges Nachleben". © APN
Autor Jan Faktor verfolgt gespannt die Verleihung der Preise.
Autor Jan Faktor verfolgt gespannt die Verleihung der Preise. © ddp
Der Schauspieler Ben Becker würde sich auch über einen Preis freuen. Erst einmal muss er jedoch sein Buch vorstellen.
Der Schauspieler Ben Becker würde sich auch über einen Preis freuen. Erst einmal muss er jedoch sein Buch vorstellen. © ddp
"Bruno. Der Junge mit den gruenen Haaren" heißt das Buch. © ddp
Auch Autor Lutz Seiler verfolgt die Verleihung.
Auch Autor Lutz Seiler verfolgt die Verleihung. © ddp
Schriftstellerin Anne Weber wartet auf die Bekanntgabe der Preisträger.
Schriftstellerin Anne Weber wartet auf die Bekanntgabe der Preisträger. © ddp
Autor Martin Walser präsentiert sich in seiner Novelle
Autor Martin Walser präsentiert sich in seiner Novelle "Mein Jenseits" als witziger und am religiösen Leben interessierter Mann. © ddp
Die Treppe zeigt das Logo der Leipziger Buchmesse.
Die Treppe zeigt das Logo der Leipziger Buchmesse. © APN
Eine Verlagsmitarbeiterin räumt vorsichtig die neuen Bücher ein.
Eine Verlagsmitarbeiterin räumt vorsichtig die neuen Bücher ein. © ddp
Danach müssen die Schmöker noch...
Danach müssen die Schmöker noch... © ddp
...sortiert werden.
...sortiert werden. © ddp
2071 Aussteller präsentieren ihre
2071 Aussteller präsentieren ihre "Neuen" auf der Leipziger Buchmesse. © ddp
Ein Arbeiter stapelt auf der Buchmesse in Leipzig an einem Stand Miniaturbücher.
Ein Arbeiter stapelt auf der Buchmesse in Leipzig an einem Stand Miniaturbücher. © ddp
Wer viel lesen will, fängt am besten jetzt schon an.
Wer viel lesen will, fängt am besten jetzt schon an. © APN
Mitarbeiter des Ullstein-Verlages stellen Exemplare des Romans
Mitarbeiter des Ullstein-Verlages stellen Exemplare des Romans "Axolotl Roadkill" der Autorin Helene Hegemann in ein Regal. Die Jung-Autorin ist trotz Plagiatsvorwürfen nominiert. © APN
Die Regale sind voll - die Besucher können kommen.
Die Regale sind voll - die Besucher können kommen. © APN
Krimis gibt es noch und nöcher.
Krimis gibt es noch und nöcher. © APN
Der Roman
Der Roman "Der Koch" von Martin Suter wird als Hörbuch auf der Buchmesse in Leipzig vorgestellt. © APN
Die Autorin Helene Hegemann nahm an einem Lesforum teil.
Die Autorin Helene Hegemann nahm an einem Lesforum teil. © APN
Die Nachwuchsautorin wurde mit ihrem Roman
Die Nachwuchsautorin wurde mit ihrem Roman "Axolotl Roadkill" für den Preis der Leipziger Buchmesse 2010 nominiert. © APN
Den Preis erhielt jedoch nicht sie, sondern Georg Klein.
Den Preis erhielt jedoch nicht sie, sondern Georg Klein. © APN
Die Besucher auf dem Weg zu den Lesungen.
Die Besucher auf dem Weg zu den Lesungen. © ddp
Stefanie Kloss, Sängerin der Band Silbermond, hält neben dem Gitarristen der Band, Thomas Stolle, auf der Buchmesse in Leipzig am Stand von Musicbooks das Buch
Stefanie Kloss, Sängerin der Band Silbermond, hält neben dem Gitarristen der Band, Thomas Stolle, auf der Buchmesse in Leipzig am Stand von Musicbooks das Buch "Silbermond- Das Liederbuch 2004 - 2010" in der Hand. © ddp
Messebesucher betrachten die neuen...
Messebesucher betrachten die neuen... © ddp
...Reclam-Bücher.
...Reclam-Bücher. © ddp
Zwischen den Regalen...
Zwischen den Regalen... © ddp
gibt es viel zu entdecken.
gibt es viel zu entdecken. © ddp
Völlig vertieft...
Völlig vertieft... © ddp
...bekommen die Besucher nicht mit, was um sie herum passiert.
...bekommen die Besucher nicht mit, was um sie herum passiert. © ddp
Die Lese-Liebe.
Die Lese-Liebe. © ddp
Abgetaucht sind diese Besucher.
Abgetaucht sind diese Besucher. © ddp
Eine Muslimin sitzt sm Stand des Landes Mazedonien und liest in einem Buch.
Eine Muslimin sitzt sm Stand des Landes Mazedonien und liest in einem Buch. © ddp
Der Comedian und Autor Michael Mittermeier stellt auf der Buchmesse...
Der Comedian und Autor Michael Mittermeier stellt auf der Buchmesse... © ddp
...sein Buch
...sein Buch "Achtung Baby!" vor. © ddp
Die Messebesucher strömen von der Glashalle in die Ausstellungshallen.
Die Messebesucher strömen von der Glashalle in die Ausstellungshallen. © ddp
Messebesucher verfolgen an der
Messebesucher verfolgen an der "Textbox" den Vortrag eines Autors. © ddp
Von Büchern umgeben: Sogar die Hocker bestehen auf der Messe aus den Schmökern.
Von Büchern umgeben: Sogar die Hocker bestehen auf der Messe aus den Schmökern. © ddp
Messebesucher sitzen vor dem Blauen Sofa und verfolgen den Auftritt des Autors Michael Mittermeier.
Messebesucher sitzen vor dem Blauen Sofa und verfolgen den Auftritt des Autors Michael Mittermeier. © ddp
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Der Gelegenheitsliebhaber wird sie zwar noch einmal herumkriegen – aber Maja bricht mit ihrem Mann zu den unendlichen Horizonten am Yukon-River auf, zum Radeln und Weltvergessen. Hier, zum Ende hin, wird der Roman noch eine dramatische Wendung nehmen, er bekommt kräftige Farben in der abenteuerlichen Wildnis des Jack-London-Landes, in der solche „Dekorateure des Nichts“ wie Theologen und Schriftsteller leicht verlorengehen.

Walser sonnt sich im Glanze der Briefroman-Tradition

Goethes „Werther“, Hölderlins „Hyperion“, die „Gefährlichen Liebschaften“ des Choderlos de Laclos – Walsers Roman sonnt sich im Glanze der Briefroman-Tradition. Und in guten bösen Sätzen wie „Kinder sind Attentate der Natur“. Doch es bleibt oft ein recht ausgedachter Roman, ein tastendes Gedankenexperiment, dessen intellektuelle Versuchsballons fast ebenso oft platzen wie sie in den Himmel der Erkenntnis aufsteigen.

  • Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel. Roman. Rowohlt, 272 S., 19,95 €.