Berlin. Die Ansprache des Literaturkritikers zum Holocaust-Gedenktag hatte nicht nur viele Parlamentarier bewegt: Reich-Ranickis Rede im Deutschen Bundestag wurde jetzt zur “Rede des Jahres“ gewählt. Reich-Ranicki hatte über die Deportation der Warschauer Juden berichtet. Der 92-Jährige war selbst von Berlin ins Warschauer Getto deportiert worden.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki hat für seine Ansprache zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus die Auszeichnung "Rede des Jahres 2012" erhalten. Die Rede im Bundestag sei "ein beeindruckender, kraftvoller und authentischer Beitrag zum Gedenken an den Holocaust in Deutschland" gewesen, teilte das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen am Dienstag mit.

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Reich-Ranicki erinnerte in seiner ergreifenden Rede am 27. Januar an die grausamen Taten der Nazis im Warschauer Getto. Er spreche nicht als Historiker, sondern "als ein Zeitzeuge, genauer: als Überlebender des Warschauer Gettos", sagte er damals. Der 92-Jährige war 1938 aus Berlin nach Polen deportiert worden. Später kam er in das von den Nazis errichtete Getto.

"Hohe Authentizität und emotionale Kraft"

Reich-Ranicki berichtete im Bundestag detailliert über die Ereignisse um den 22. Juli 1942. An diesem Tag begann die Deportation der Juden aus Warschau in das Vernichtungslager Treblinka. "Was die 'Umsiedlung' der Juden genannt wurde, war bloß eine Aussiedlung - die Aussiedlung aus Warschau. Sie hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod", sagte der Publizist.

Die detailgetreue und von atmosphärischen Eindrücken durchzogene Erinnerung führe den Zuhörern "die Grausamkeit der Judenvernichtung direkt vor Augen", urteilte die Jury. Reich-Ranicki verweigere sich "der konventionellen Gedenkrhetorik" und verzichte auf Appelle, Mahnungen oder Forderungen. Sein Bericht zeichne sich durch "eine hohe Authentizität und emotionale Kraft" aus.

Die Sprachforscher vergeben die Auszeichnung seit 1998. Geehrt wurden bisher unter anderen der Schriftsteller Martin Walser, der Grünen-Politiker Joschka Fischer, der Journalist Heribert Prantl und Papst Benedikt XVI. (dapd)