Essen. Die Erotik von Gadgets und Smartphone mündet bei uns Menschen in die Tücken des Gefallenwollens: Jonathan Franzen, Autor der „Korrekturen“, schreibt kluge Essays - über seinen Freund David Foster Wallace, über die Bücher von Paula Fox oder Alice Munro und über die Liebe in Zeiten der Digitalisierung.

Die Romane des US-Schriftstellers Jonathan Franzen sind Gesellschaftspanoramen in der Tradition der „Great American Novel“; dennoch kommen die gewichtigen Werke („Die Korrekturen“, „Freiheit“) wie eine schlichte, wortgewordene Wirklichkeit daher. Leichtfüßig, scheinbar mühelos, weshalb sie leicht in den Verdacht gerate, keine „Kunst“ zu sein. Wie komplex jedoch der Franzen-Kosmos ist, das zeigt der aktuelle Essay-Band „Weiter weg“.

Die Texte sind Liebeserklärungen: an seinen (von eigener Hand viel zu früh gestorbenen) Schriftsteller-Freund David Foster Wallace. An die Werke von Paula Fox und Alice Munro. An die bedrohten Vögel der Welt (Franzen ist leidenschaftlicher Vogelbeobachter).

Vor allem aber sind sie Liebeserklärungen an die Liebe: jene, die in einem Land vor unserer Zeit zu finden ist, jenseits der Technisierung der Liebe und der Ersetzung von Erotik durch Technik.

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Einen erotisch aufgeladenen, „magischen“ Moment, wann haben wir den zuletzt erlebt? Wenn wir dieses typische „Fingerspreizen“ und „beschwörende Worte“ einsetzen, um mit unseren Smartphones zu kommunizieren – dann erleben wir womöglich einen Abglanz jenes einst zwischenmenlichen Zaubers. Technische Geräte entsprächen „unserem phantasierten Ideal einer erotischen Beziehung“, argumentiert Franzen in einem kulturkritischen, gleichwohl hoffnungsvollen und sehr bemerkenswerten Text, weil „das Objekt der Begierde nichts fordert und alles gibt, sofort“. Welcher Mensch tut das schon?

Die frühe, viel zu frühe Ehe

Der technische Schnickschack „gefällt“ uns, dazu ist er da – nur leider gehe es auch seinen Nutzern zunehmend darum, „gefallen“ zu wollen. Franzen zufolge führen wir nicht nur unsere Beziehungen heute mit technischen Mitteln, via SMS, Mail, Facebook, wir führten auch unsere Beziehungen zunehmend auf eine „technische“, unemotionale Art. Das Gefallenwollen aber berge Gefahren: zum einen könnte es sein, dass wir die, denen unsere nutzerfreundliche Oberfläche „gefällt“, dafür irgendwann verachten – weil sie hereingefallen sind. Zum anderen wird diese Oberfläche nur zu rasch Kratzer bekommen.

Franzen schreibt über seine frühe, zu frühe Ehe (mit einer Kommilitonin, die wie er vor allem der Literaturtheorie verfallen war): „Ich musste selbst und auf die harte Tour herausfinden, was für eine schmutzige Angelegenheit die Hingabe ist.“ Zugleich lernte er über sein Schreiben, „dass nur die Seiten bewahrenswert sind, die zeigen, wie man wirklich ist“.

Wahre Liebe gegen kalte Technik

Das Sichzeigen, das Wahrhaftigsein spielt eine große Rolle in dieser Rede unter dem Titel „Schmerz bringt dich nicht um“, die Franzen im Jahr 2011 vor College-Absolventen hielt.

Die Intensität, mit der Franzen die „wahre Liebe“ gegen die kalte Technik setzt, dürfte der jungen, noch formbaren Zuhörerschaft geschuldet sein. Was wäre, fragt Franzen, wenn die Studenten sich „diese Herz-Schmerz-Geschichte“ für später aufheben würden? „Bedenkt man die Alternative – einen narkotisierten, technisch begünstigten Traum von Selbstgenügsamkeit – dann erscheint der Schmerz als das natürliche Produkt und der natürliche Indikator des Lebendigseins in einer widerständigen Welt.“

Ohne Schmerz durchs Leben kommen, das hieße nicht nur, „nicht gelebt zu haben“. Es hieße auch, im schlimmsten Sinne: ein Konsument zu sein.

  • Jonathan Franzen: Weiter weg. Essays. Rowohlt, 368 S., 19,99 €