Essen. . Wie lebt es sich als freischaffende Schriftstellerin? Die Schriftstellerin Juli Zeh spricht über Geschäftsmodelle im „literarischen Mittelstand“. Sie erklärt, was sie von einer Kultur-Flatrate hält und fordert Preissenkungen für Ebooks - damit Leser nicht zu Raubkopierern werden.
Die Autorin Juli Zeh kennen auch viele, die ihre Bücher nicht gelesen haben: weil sie sich in politische Debatten einmischt oder selbst welche anstößt („Angriff auf die Freiheit“). Mit Britta Heidemann sprach sie über die Kunst, als Schriftsteller Geld zu verdienen.
Sie haben Ihren ersten Roman “Adler und Engel” vor zehn Jahren veröffentlicht, aber lange überlegt, ob Sie sich ganz dem Schreiben widmen wollen - was waren die Gründe?
Juli Zeh: Ich habe eben nicht darauf vertraut, dass man vom Schreiben leben kann, sondern hatte den Plan, Juristin zu werden. Ich wollte meine Existenzgrundlage auf die Rechtswissenschaften stützen.
Wann haben sie sich anders entschieden?
Nach dem zweiten Roman, “Spieltrieb“. Der verkaufte sich, wie der erste, auch ganz gut. Und ich habe gemerkt, dass das Leben im Literaturbetrieb einen Vollzeitjob darstellt. Es war nicht mehr so wie vorher, dass ich abends mal ein paar Stunden schreiben konnte. Sondern es kamen Pressetermine, Lesungen hinzu. Das hat sich mit einer Doppelexistenz nicht vertragen. Nach dem zweiten Staatsexamen habe ich mir ein paar Wochen den Kopf zerbrochen, und mich dann für diese luxuriöse, weil eben sehr freie Autorenexistenz entschieden.
Die aber nur luxuriös ist, wenn man gut verdient - hatten Sie da Sorge, dass der nächste Roman vielleicht floppt?
Natürlich! Die Sorge habe ich immer. Aber ich sage mir, dass jeder Arbeitnehmer jederzeit seinen Job verlieren kann. Und dass es diese Art von Sicherheit, die man gerne hätte, sowieso nicht gibt.
Sind Literaturstipendien und Preise ein gutes System, um Literatur zu fördern? Oder teilen Sie die Kritik, dies wäre das Modell Gießkannenprinzip?
Ich finde das System gut, ich bin ja diejenige, die davon profitiert. Wenn man nur zwei supertolle Preise hätte, dann würde das passieren, was der Buchpreis ja schon so ein bisschen vormacht: Dass die heiß umkämpfte Aufmerksamkeit sich auf ein paar wenige Autoren konzentriert.
Dann hätte man nur noch ein paar echte Big Shots – und daneben ein Meer von bloßen Hobbyautoren. Das Tolle an unserer Literaturszene ist, und das unterscheidet sie auch von allen anderen Ländern, dass wir so ein breites Mittelfeld haben. Wir haben quasi einen literarischen Mittelstand. Darauf sollte man stolz sein, weil es diese ungeheure Vielfalt garantiert, die auch eine Vielfalt der Schreibstile ist.
Es gibt aber auch Stimmen aus den Verlagen, die sagen, gerade dieses Mittelfeld sei in der Krise bedroht.
Ein Mittelfeldautor, mit 5000 bis 15 000 verkaufter Auflage im Hardcover, der ist ohnehin subventionsabhängig. Und damit meine ich nicht nur Preise und Stipendien. Auch Lesungen sind häufig subventioniert. Oder wenn zum Beispiel Übersetzungen gefördert werden und ausländische Verlage darum die Lizenzen kaufen, weil es eben Förderung gibt, dann verdienen daran sowohl Verlag als auch Autor. Das ist auch eine versteckte Subvention an die deutsche Literatur. Fast überall steckt Subvention drin, außer im knallharten Buchverkauf. Aber davon allein lebt fast kein Autor.
Wie sind Ihre Auflagenzahlen?
Etwas über Mittelstand. Aber auch ich lebe nicht allein vom Buchverkauf. Die Leute denken immer, wenn man mal in einer Talkshow gesessen hat, ist man Großverdiener. Die meisten Autoren haben aber eine Art Gemischtwarenladen. Sie machen Veranstaltungen oder schreiben fürs Theater oder für Zeitungen.
Wo stehen Sie in der Urheberrechtsdebatte? Sollte es eine Flatrate für Bücher im Netz geben?
Ich glaube nicht, dass eine Flatrate funktionieren würde. Das gäbe doch nur die nächste Monsterbehörde und das Riesenproblem der Verteilung des Geldes an die Künstler. Ich habe weniger Angst vor Raubkopien als vielleicht andere Leute. Wir reden da über ein Szenario, das aus der Musikbranche hochgerechnet wurde.
Aber ein literarischer Autor ist halt nicht Madonna! Wir haben einen überschaubaren Kreis von wohlwollenden Lesern, die unsere Produkte kaufen. Dass die alle auf einmal zu Raubkopierern werden, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Es sei denn, man macht sie dazu - die Ebooks müssen einfach billiger werden. Auch wenn die Ebooks vielleicht kostendeckend verkauft werden, denken die Leute doch, das sei ein zu hoher Preis.
In Schreibkursen unterrichten Sie selbst den literarischen Nachwuchs: Ist es heute schwieriger als vor zehn Jahren, Schriftsteller zu werden?
Zehn Jahre ist ein zu kurzer Zeitraum, um da eine Entwicklung zu sehen. Auf jeden Fall ist es viel einfacher als vor 30 Jahren. Wenn man damals unter 40 war und dann noch eine Frau … ganz schwierig! Der Markt hat den Nachwuchs ja erst in den 90ern für sich entdeckt.
Sie haben in Leipzig studiert - hat die Tatsache, dass es heute den Beruf des Diplomschriftstellers gibt, etwas am Berufsbild verändert?
Nein. Der Abschluss an sich spielt für das Berufsbild keine Rolle. Das hat ja eher einen leicht lächerlichen Anklang, wenn man sagt, ich habe ein Schriftstellerdiplom. Aber vom Literaturinstitut sind eben immer mehr Leute gekommen, die recht erfolgreich veröffentlicht haben. Deshalb hat das Institut heute einen guten Ruf, der auch bei der Verlagssuche helfen kann.
Sind Ihre Kommilitonen von damals alle Schriftsteller geworden?
Alle nicht - aber ein erstaunlich hoher Teil. Viele sind in irgendeiner Form in der Literaturszene geblieben. Das finde ich überraschend, denn es handelt sich ja um Kunst, und in der Kunst wird gnadenlos sortiert. Ich habe das Gefühl, der Literaturmarkt hat relativ vielen erlaubt, mitzuspielen, gerade im Vergleich mit anderen Branchen. Als Schauspieler hat man es härter.
Ist Jura noch eine Option für Sie?
Wenn es diese Option noch realistisch für mich gäbe, würde ich in besorgten Phasen besser schlafen. Aber um ehrlich zu sein, eine bald Vierzigjährige ohne Berufserfahrung geht nicht mal eben in einer Kanzlei vorbei und bekommt da einen Job.
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, lebt heute mit Mann und Kind in der Nähe von Berlin. Sie studierte Jura in Passau und Leipzig, seit 1996 parallel dazu am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig.
Gerade erschienen ist Juli Zehs neuer Roman „Nullzeit“, ein Thriller im Verlag Schöffling & Co.