Frankfurt/M. Vom Schreiben und Verlegen guter Literatur kann man heute eigentlich nicht mehr leben, sagt Verleger Joachim Unseld. Seit 1994 leitet der 59-Jährige die kleine Frankfurter Verlagsanstalt und machte sie zur ersten Adresse für zeitgenössische Literatur.

Das Schlimme am Älterwerden, sagt Joachim Unseld mit typisch selbstironischem Lächeln, „ist zu wissen, wie es früher einmal war“. Seit 1994 leitet der 59-Jährige die kleine, feine Frankfurter Verlagsanstalt, machte sie zur ersten Adresse für zeitgenössische Literatur. Mit Britta Heidemann sprach er zum Auftakt unserer Buchmarkt-Serie in seinen Verlagsräumen im Frankfurter Westend über das Büchermachen in zunehmend papierfernen Zeiten.

Herr Unseld, ist die Lage für Literaturverlage tatsächlich so dramatisch, können Sie Zahlen nennen?

Joachim Unseld: Die Auflagen literarischer Bücher haben sich in den letzten zehn Jahren halbiert. Wir beobachten, dass bei den 6000 Belletristik-Titeln im Jahr die Auflagen wegbrechen: Die gediegenen, guten Autoren, die immer für acht- bis zehnttausend Exemplare gut waren, sind jetzt bei fünftausend verkauften Exemplaren angekommen. Und die Debüts nur noch bei zweitausend, selbst wenn sie in der Presse hymnisch besprochen werden. Eigentlich kann man heute vom Schreiben und Verlegen von guter Literatur nicht mehr leben. Dagegen wird im Bereich der Unterhaltungsliteratur in die Spitze hinein heute viel besser verkauft als früher: Die 20, 30 Titel, die in Bestsellerlisten sichtbar werden, verkaufen sich besser denn je.

Wann hat diese Entwicklung begonnen?

Unseld: Es ist ein Zeitphänomen, aber es liegt auch an den veränderten Buchhandelsstrukturen. Heute gibt es große Buchhandelsketten, deren Zentralen bestimmen, was zum Bestseller gemacht werden soll. Bei Dan Browns Bestsellern sagt man habe Thalia 60 Prozent der Auflage verkauft, obwohl diese Kette nur einen Marktanteil von 17 Prozent hat. In der Spitze gibt es daher unter den Verlagen einen so harten Kampf, dass man solche Unterhaltungstitel zu völlig überzogenen Vorschüssen einkaufen müsste und im Endeffekt kalkulierte Verluste einfährt, nur damit der Verlag mal wieder ein Flaggschiff hat.

Wählen Sie heute Bücher nach anderen Kriterien aus als zu Anfang?

Unseld: Eigentlich müsste ich das. Aber man kann nicht einfach einen Gang hochschalten und sagen, ich mache jetzt mal einen Spitzentitel für die Großbuchhandlung. Das muss man ja auch können. Bei guter Literatur habe ich meine Kriterien und meinen Anspruch, da weiss ich, das ist eine besondere Art zu schreiben, das ist etwas, das so noch nicht da war. Es ist natürlich zu erwarten, dass Autoren sich auf die neue Zeit einstellen und ein bisschen flächiger schreiben. Ausserdem wird von der FVA ja auch erwartet, dass wir unsere erfolgreiche literarische Linie halten.

Wie finden Sie neue Bücher?

Unseld: Bücher kommen auf sehr unterschiedliche Weise zu mir. (blättert im aktuellen Verlagsprogramm) Bodo Kirchhoff zum Beispiel kenne ich seit langem, sein neuer Roman „Die Liebe in groben Zügen“ ist sein elftes Buch hier bei mir. Das Buch von Fee Katrin Kanzler war ein unverlangt eingesandtes Manuskript, das gibt’s auch. Wir bekommen im Jahr vielleicht tausend davon. Die Autoren, die literarisch schreiben, wissen natürlich, wer erfolgreich Debüts verlegt. Die FVA hat bereits fünf Mal den Aspekte-Preis für das beste deutschsprachige Debüt des Jahres bekommen.

Zuletzt erhielt ihn Thomas von Steinaecker – der kam über die Vermittlung von Juli Zeh zu mir. Oft werden ja junge Autoren von arrivierten empfohlen, bei Suhrkamp kam ganz viel über Enzensberger und Walser. Der große belgische Autor Jean-Philippe Toussaint ist zum Beispiel meine Hommage an Samuel Beckett. Wir haben uns sehr geschätzt, bei meinen Besuchen bei ihm hat Beckett mehrfach gesagt, warum Toussaint nicht bei Suhrkamp sei. Irgendwann hat es dann geklappt. Später ist Toussaint mir zur FVA gefolgt.

Welche Rolle spielen Literaturagenturen?

Unseld: Wir haben fünf, sechs Agenten für deutschsprachige Literatur, mit denen wir sehr gut zusammenarbeiten, obwohl wir anfangs skeptisch waren. Die jungen Autoren gehen heute direkt zum Agenten. Damit umgehen sie die Ochsentour – 30 Verlage anschreiben, bestenfalls 29 Absagen kassieren. Der Agent ist ein Vorschmecker und weiß, was zu welchem Verlag passt.

Was passt zu Ihnen?

Unseld: Das ist eine ganz spezielle Sache. Eine Literatur, die mich wirklich angeht, die sehr stark auf Stil, auf literarisches Schreiben geht. Es muss schon so sein, dass mich fasziniert, wie der Autor schreibt, wie er seinen Inhalt in Form kriegt. Da ist eigentlich der Inhalt nicht ganz so wichtig wie die Form.

Und wie wichtig ist die Person des Autors?

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Unseld: Man ist natürlich als Verleger glücklich, wenn man einen tollen Autor hat, der zum Medienstar taugt, klar. Wer hat das noch gesagt: Heutzutage darf ein Autor nicht mehr wie ein aus dem Nest gefallener Jungvogel aussehen. Aber oft ist es ja heute so, dass die, die bereits Medienstars sind, Bestsellerautoren werden. Als Bohlen seine Autobiografie veröffentlicht hatte, das war für uns ein Schock, wie er da mit 60 Kameraleuten über die Frankfurter Buchmesse zog und den literarischen Autoren komplett die Show stahl. Das Bestsellergeschäft geht heute eben in diese Richtung: Prominente werden angesprochen, möchten Sie nicht ein Buch schreiben? Und wenn die sagen, kann ich nicht, dann heißt es: Macht nichts, wir haben jemanden, der es für sie schreibt.

Braucht die Literatur heute Subvention?

Unseld: Wir sind eigentlich auf dem Weg dahin, dass die Kulturverlage, wie ich sei nenne, wie die Theater sich nicht mehr selbst halten können werden. Die Renditen sind auf null; ich weiß gar nicht, ob es noch einen Verlag gibt, der wirklich Gewinne macht. Es gab immer die hauseigene Quersubventionierung der Verlage, dass man mit dem einen Unterhaltungsbestseller die literarischen Bücher bezahlt. Aber dadurch, dass diese absoluten Spitzentitel rar sind, funktioniert das auch nicht mehr. Andere Länder subventionieren bereits literarische Verlage und Buchhandlungen. In Amerika gibt es die Einrichtung der University Press. In Österreich bekommt jeder Kleinverlag noch seine 50.000 Euro im Jahr vom Staat. Frankreich hat seinen Verlagen die Digitalisierung seiner Backlist finanziert.

Vor kurzem hat Juli Zeh gemeint, die Internet-Piraterie entstünde nur deshalb, weil Ebooks zu teuer seien. Wie halten Sie es mit den digitalen Büchern?

Unseld: Es geht in erster Linie nicht um die Verpackung, es geht um den Inhalt. Es geht darum, dass man für etwas einen fairen Preis bezahlt, das jemand erarbeitet hat. Einen Wert genauer gesagt. Und wenn ein Ebook gleichzeitig mit dem Hardcover erscheint, müssten beide eigentlich gleich teuer sein. Aber wir haben in einem Fall jetzt einen Test laufen, wo wir ein Hardcover für 19 Euro und das Ebook für 9,99 Euro anbieten.

Die FVA wird in diesem Jahr 25 – wie sieht die Zukunft aus?

Unseld: Das ist schwer zu sagen. Fest steht, dass wir uns in einem Übergang befinden, am Ende der Gutenberg-Zeit und vor der Epoche der neuen digitalen Welt. Der Inhalt, der Lesestoff wird weiter das Wichtige bleiben. Wie aber das Buch als solches dann aussehen wird, die Zeit wird es zeigen.