Straelen. .
Zum fünften Mal findet in diesen Tagen in Straelen am Niederrhein ein Workshop für europäische Übersetzer statt. In diesem Jahr trifft die Autorin Juli Zeh auf Übersetzer ihres Romans „Corpus Delicti“.
Der Himmel des linken Niederrheins gleicht einer Freiflughalle für Gedanken; und was könnte gesünder aussehen als diese Wiesen? Inmitten einer Landschaft voller lächelnder Mähdrescher und blühender Bauerncafés aber geht es um Überwachung und um eine perverse Diktatur der Gesundheit: um Juli Zehs Roman „Corpus Delicti”.
Damit fängt das Problem an. Ist der lateinische Begriff doch fest in deutschem Munde, in der Alltagssprache ebenso zu finden wie auf Berliner Mülleimern („Ein Corpus für das Delicti”). Wie überträgt man all dies subtil Mitschwingende ins, sagen wir, Polnische? Mit sieben Übersetzern arbeitet Juli Zeh in dieser Woche im Europäischen Übersetzer-Kollegium Straelen an Text und Titel ihres Romans. „In Deutschland ist Corpus Delicti kein elitärer Begriff”, warnt die Autorin, „das würde dem Roman nicht entsprechen. Ich hasse Bildungshuberei.”
Cordhose mit Ringelpulli
Juli Zeh trägt Cordhosen, einen Ringelpulli und knallgrüne Turnschuhe. Was natürlich nicht wichtig ist, aber viel über die lockere Arbeitsatmosphäre im „EÜK” sagt. Zum fünften Mal trifft in Straelen ein deutscher, international gefragter Schriftsteller seine Übersetzer zum Workshop. Einige der Muttersprachlerinnen (nur ein Mann ist dabei) aus Brasilien, Taiwan, Neuseeland, Polen, Belgien, Schweden und der Türkei kennt die Autorin bereits. Man tratscht: In Frankreich ist Zehs Roman „Spieltrieb” unter dem Titel „Mädchen ohne Eigenschaften” erschienen! „Mutig”, staunt Zeh, „in Deutschland wäre man dafür geschlachtet worden.” In Frankreich aber schrieben Kritiker: Wie prima, wem Musil zu lang ist, der lese Juli Zeh!
Nicht nur in der Titelfindung ist Juli Zeh entspannt. Sie schlägt ihren Übersetzern vor, neue Namen für Figuren zu erfinden, um den Roman ganz und gar ins Heimatland einreisen zu lassen. Und erklärt eigene Erfindungen: Die Heldin Mia Holl ist Maria Holl entlehnt – die letzte Frau, die in Deutschland als „Hexe” verbrannt wurde. Mias Bruder Moritz heißt so, weil in Zehs Roman „Adler und Engel” der Held ein Max war. Zehs belgische Übersetzerin Hilde Keteleer weiß: „Max und Moritz, das sind die beiden, die umkamen, weil sie sich nicht anpassen wollten”.
Für die Ruhrtriennale
Moritz erhängte sich, weil „die Methode” ihn als Mörder verurteilte. Seine DNA am Tatort aber war gar nicht seine – weil er mit Stammzellen behandelt wurde, gab es einen genetischen Doppelgänger. Seiner Schwester Mia wird der Prozess gemacht, weil sie an ihren Bruder glaubt statt an „die Methode”. Einst als Theaterstück für die Ruhrtriennale geschrieben, ist dies Juli Zehs erstes Werk „mit klarer politischer Intention”. Deshalb sollte es etwas Bleibendes werden, ein Buch. Nur wollte sich die Theaterprosa partout nicht ins Roman-Format fügen. So erfand Zeh die Gattung „Ein Prozess”, erklärt die Autorin. „Ich wollte ehrlich sein.”
Vielleicht ist es dieser Entstehungs-Prozess, der Juli Zeh nun locker macht im Umgang mit zielsprachlichen Änderungen – „eine Übersetzung ist sowieso eine Neuschrift”, sagt sie. Vielleicht ist es aber auch ihre Arbeits-Methode: Viele Passagen des Buches stammen aus dem Internet. Zum Beispiel von Seiten der Weltgesundheitsorganisation. „Das sind gar keine Zukunftsvisionen. Das ist unsere Gegenwart, selektiv gewählt und miteinander verbunden. Man soll schon merken: Dies ist das bekloppte Blabla unserer durchbürokratisierten Welt.”
Was Wei Tang aus Taiwan umtreibt, ist hingegen der Begriff „der gesunde Menschenverstand”: „So etwas haben wir bei uns nicht!”
- Das fünfte Straelener Atriumsgespräch mit Juli Zeh wird gefördert von der Kunststiftung NRW. Restkarten für eine Lesung Mittwoch, 1. September, 20 Uhr, gibt es unter Tel. 02834/1068.