Düsseldorf. .
„Good Morning, Boys and Girls“: Juli Zehs Versuch über einen Amok laufenden Schüler berührt nicht und stößt nichts an. Wenig inspiriert spielt das Stück mit virtuellem und wirklichem Leben. Theater als Lebenshilfe – es wäre großartig. In Düsseldorf wird nichts daraus.
Natürlich muss Theater sich mit der Welt auseinander setzen; auch mit den verstörenden, schwer fassbaren Phänomenen der Gegenwart. Gerade mit ihnen. Juli Zeh hat für das Düsseldorfer Schauspiel ein Stück über einen Jungen geschrieben, der an seiner Schule Amok läuft – das ist klug gedacht. Theater darf aber nicht nur klug sein; wenn es zur theoretischen Abhandlung wird, ist etwas schief gegangen. Und weder die Welt noch das Theater haben etwas davon.
Juli Zeh ist eine Autorin, die mit Gespür für die verknoteten Zonen der Gesellschaft bemerkenswerte Stücke geschrieben hat. In „Spieltrieb“ erpressen Jugendliche ihren Lehrer, „Corpus Delicti“ erzählt von der bösen Utopie eines Gesundheits-Überwachungsstaates. Beide Texte sind klar und berührend; „Good Morning, Boys and Girls“ ist es nicht.
Schon der erste Satz weckt Unbehagen: „Er war so ein süßes Kind“, sagt die beherzte Mutter, eine tüchtige Galeristin. Soviel Klischee müsste nicht sein. Es geht aber so weiter, haarsträubend kunstfertig. Der Titel des Stücks zitiert die zynische Anrede des 16-Jährigen an seine Mitschüler, bevor er sie abknallt, Zynismus hat aber keinen Raum in diesem Stück. Jens, der gewalttätig Lebensunwillige, heißt mit Nachnamen „Kammbeck“ – eine lautmalerische Annäherung an „Come back“ als Anspielung auf das erhoffte Medienecho seiner Tat. Das geschwätzige Programmbuch verrät das horrende Späßchen, und vorsichtshalber breitet es auch die Theorie von Frau Zeh noch einmal aus – für den Fall, dass im Theater jemand einschläft.
Das kann leicht passieren, obwohl das Licht im Saal an bleibt: Aha. Keine Illusionen. Wenig inspiriert spielt das Stück mit virtuellem und wirklichem Leben; in Rückblenden lässt es Eltern, Lehrerin, Freundin und den toten Jens herumphilosophieren; dass der Junge selbst seine Geschichte posthum als CNN-Reporter vermarktet, ist immerhin ein Gag. Gutes Theater ist es nicht.
Denn das Thema Amok ist hoch emotional und eine gültige Erklärung nicht zu haben. Ob es angemessen auf die Bühne zu bringen ist, bleibt auch in Düsseldorf die Frage. Der personifizierte „Amok“ mit weißer Maske, der stumm auf der Bühne hockt, ist eine eher hilflose Metapher.
Leere Verpackung
Die Pappkartons, die Regisseur Stephan Rottkamp und Bühnenbildner Robert Schweer über die Bühne müllen, sind trotz ihrer Ödnis noch das eindrucksvollste Element der Inszenierung; leere Verpackung, Sinnbild des Chaos im Verstand des jungen Menschen, in seinem Herzen. Juli Zeh will der Emotion entgehen und erliegt ihr doch beiläufig; ein Hund als einziger Freund des Amokläufers– ach nein. Vor allem aber liefert sie ihre Theorie: Nicht anarchische Internet-Chats, lieblose Eltern und Videospiele sind Schuld, sondern ein Zeitgeist, der suggeriert, es gebe nichts Neues zu erleben. Alles wäre immer schon gesagt, gedacht und gelebt worden. „Alles schon da gewesen in der Scheiß-Karaoke-Welt“, sagt Jens.
Das ist nicht falsch, aber auch nicht neu, wir lebten schon damit, bevor es die süffige Karaoke-Chiffre gab: seit der Neanderthaler begriff, dass er nicht der Erfinder der Keule war. Die Idee trägt nicht mal über anderthalb Stunden, sie muss aufgeplustert werden mit bleiernen Sätzen: „Wenn hier einer krank ist, ist es die Welt, nicht ich.“
Denis Geyersbach spielt den Jungen Jens trotz allem so authentisch wie möglich. Dass er sichtlich doppelt so alt ist, könnte einem Verfremdungseffekt geschuldet sein, der ist aber überflüssig. Dass hier kein Einzelfall abgehandelt wird, ist eh klar.
Theater als Lebenshilfe – es wäre großartig. In Düsseldorf wird nichts daraus. Ein Schüler, der sich in die Inszenierung verliefe, schliche gähnend hinaus, ein Lehrer, der sich mit seiner Klasse hinwagte, fände sich als Karikatur auf der Bühne wieder. Und schließlich: Dass Sex zur rechten Zeit die Zerstörungswut hätte umlenken können – der Gedanke ist beinahe niedlich. Die kluge Juli Zeh hätte ihn sich schenken sollen.