Bayreuth. Der Hagener Regisseur Jan Philipp Gloger zeigte den “Fliegenden Holländer“ zur Premiere bei den “Bayreuther Festspielen 2012“ als Handlungsreisenden im Datennetz gefangen. Dafür gab es Bravos und Buhrufe vom Publikum. Samuel Youn macht als Nikitin-Ersatz eine gute Figur.

Als Jugendlicher hat er für unsere Zeitung Musikkritiken geschrieben. Mit nur 30 Jahren inszeniert der Hagener Jan Philipp Gloger nun einen unglaublich spannenden „Fliegenden Holländer“ bei den Bayreuther Festspielen. Viele Bravorufe würdigen am Ende die ebenso kluge wie einfühlsame Regie. Doch Gloger muss auch erleben, dass im Premierenpublikum auf dem Grünen Hügel eine kleine Gruppe lautstarker Wagnerianer sitzt, die alles niederbuhen, was kein Bärenfell trägt.

Der junge Regisseur, der in Mainz die Schauspielsparte leitet und mit Wagners „Holländer“ seine dritte Opernarbeit vorlegt, hat eine kongeniale zeitgemäße Übersetzung für dieses romantische Märchen um die Suche nach Erlösung gefunden. Er stellt die Geschichte konsequent in einen Schwarzraum. So treffen der Holländer und Daland (Franz-Josef Selig) in einer gigantischen Rauminstallation aufeinander, erweisen sich als Getriebene und Gefangene gleichermaßen in einem Datennetz, einer Matrix mit unerbittlich laufendem Zählwerk. Beide sind Handlungsreisende, mobil und flexibel, so wie die globalisierte Wirtschaft es von Menschen verlangt.

"Fliegender Holländer" als realer Mensch

Nur ist der Holländer inzwischen der Genüsse überdrüssig, die er mit seinem vielen Geld kaufen kann. Er sehnt sich nach Heimat, sucht nach dem Unkäuflichen, nach ewiger Treue. Aber er ist so beschädigt, dass er glaubt, diese ausgerechnet in einem Geschäft erwerben zu können: mit dem künftigen Schwiegervater Daland, dem er die Tochter Senta abkaufen will.

Auch interessant

Nur der tiefschwarze Boden symbolisiert in dieser Inszenierung das Meer, darin spiegeln sich die Handlungen der Protagonisten, und daher scheinen sie auch stets auf unsicherem Boden zu schwanken. Die Spinnstube ist eine Fabrik für Ventilatoren, die mitten in der Rauminstallation strandet und ebenfalls durch das Spiegelparkett zu schwimmen scheint. Gloger und sein Team mit Bühnenbildner Christof Hetzer und Lichtkünstler Urs Schönebaum finden nicht nur starke Bilder, sie finden auch tolle Lösungen für die Verwandlungen – etwa, wenn die Männerchor-Matrosen ein riesiges Segel ziehen, das sich dann als Dalands Heim entpuppt.

In einer Interpretation, die den Holländer nicht als Phantasiefigur, sondern als realen Menschen begreift, kommt Senta zwangsläufig etwas zu kurz. Gloger zeichnet sie als Schwester der Seeräuber-Jenny, die sich ihre Wunschumgebung auf Pappkartons malt. Daraus bauen der Holländer und Senta einen kostbaren kurzen Moment lang eine Alternativwelt und verbrennen des Holländers Geld. Die Schatten der Liebenden erscheinen dabei abwechselnd überlebensgroß und tanzen so zärtlich miteinander, wie es die realen Figuren nicht schaffen.

Paukenschläge zu Herzklopfen - Pausen wie Panikattacken

Was diese Inszenierung regelrecht berührend macht, ist Glogers Zuneigung für seine Protagonisten, die alle versehrt sind, weil sie sogar für ihre Beziehungen kein anderes Muster finden als das Kaufen. Trotzdem empfindet man Sympathie. Das zeigt sich am bewegendsten bei Erik (Michael König), dem Hausmeister mit der Silikonpistole, der Senta liebt und mit ihr eine gemeinsame Vergangenheit hat, auch wenn er weiß, dass sein kleines Portemonnaie gegen den dicken Geldkoffer des Holländers nicht konkurrieren kann. Ein Regisseur, der diesen oft als Type degradierten einsamen Freier derart menschlich zeichnen kann, der ist wirklich hochbegabt.

Was die Inszenierung vor allem bemerkenswert macht, ist der Zusammenklang zwischen Bühne und Musik. Dirigent Christian Thielemann hat vorab geschildert, dass der „Holländer“ sein bisher schwierigstes Bayreuther Dirigat ist, weil diese noch relativ frühe Wagner-Oper eigentlich nicht in die Akustik des Festspielhauses passt. Gleichwohl sucht Thielemann eine sehr psychologisierende Interpretation, die einerseits die stilistischen Gegensätze klar herausarbeitet – Wagner-Klang gegen die biedermeierlichen Daland-Arien und die konventionellen Tanzrhythmen. Gleichzeitig verschmilzt Thielemann diese Stilelemente in weiten Bögen zu einem regelrechten Partitur-Thriller, bei dem Paukenschläge zu Herzklopfen werden und Pausen wie Panikattacken lauern.

Samuel Youn nutzt als Holländer-Einspringer für Nikitin seine Chance

Auch die großartigen Solisten stützen die Interpretation, von dem unerreichbaren Festspielchor gar nicht zu reden. Den tätowierten russischen Bassbariton Jewgeni Nikitin vermisst keiner; Samuel Youn nutzt als Holländer-Einspringer die wichtigste Chance seiner Karriere. Szenisch ist der Kölner Sänger verständlicherweise noch ein bisschen unsicher, stimmlich könnte er noch am Unterschied zwischen gesanglich und dramatisch-deklamatorisch arbeiten, aber insgesamt zeigt er eine wunderbare Leistung. Adrianne Pieczonka ist eine Senta mit richtigem Feuer in der Kehle, wenn sie ihre Vision beschwört, die aber trotzdem mädchenhaft bleibt.

Die Erlösung ist am Ende brutal. Senta und der Holländer begehen einen Doppelselbstmord. Und die Tat nutzt überhaupt nichts, weil das in tödlicher Ekstase verschlungene Paar fotografiert wird. Dalands Fabrik stellt auf der Basis dieser Fotos die Produktion um: Statt Ventilatoren werden nun Lampen-Statuetten der Liebenden gefertigt, die sich hervorragend verkaufen.