Essen. . Angefangen haben fünf, inzwischen ziehen in Deutschland 200 Kinos mit, wenn Opern auf die Leinwand übertragen werden. “Die Zahlen sind gut“, sagt ein Cinemaxx-Sprecher zu dem Experiment. In diesem Jahr sind erstmals auch die Bayreuther Festspiele live dabei, mit dem „Parsifal“.
Auf eine Karte für die Bayreuther Festspiele wartet man ungefähr zehn Jahre. Das ist selbst für Wagner eine lange Zeit. Ein Trend schafft Abhilfe. Man ist nicht da und doch dabei. Die Oper kommt ins Kino, den Bayreuther Anfang macht der „Parsifal“.
Bayreuth ist aber kein Pionier dieser Aufhebung einer kulturellen Trennlinie, die traditionell zwischen Nachos und Nabucco verlief. „Die Zahlen sind gut“, sagt Arne Schmidt, Sprecher von Cinemaxx Deutschland, und meint damit nicht etwa Terminator-Erfolge, sondern Tannhäuser und andere Helden mit hohem C.
Anfangs vorsichtig, inzwischen mit beträchtlichem Erfolg schultern deutsche Kinos den Kraftakt von Live-Übertragungen. So kommt die Oper (führend: New Yorks Metropolitan Opera) ins Kino. Der Coup geht auf den Boss der „MET“ zurück. „Wenn die Leute nicht in die Oper kommen, müssen wir die Oper zu den Leuten bringen“, zitiert ihn Katja Raths. Raths ist Leiterin von Clasart Classic, organisatorisches Scharnier zwischen Kino und „MET“.
„Man ist so nah dran“, bis zu den Plomben der Sänger
Peter Gelb, der Amerikas bedeutendstes Musiktheater lenkt, hat damit erst nur das opernlose Volk in Utah oder Oregon versorgt. Doch auch beim deutschen Publikum stieß die Vermählung einer lange als unvereinbar eingeschätzten Koexistenz von Parsifal und Popcorn auf Begeisterung. „Man ist so nah dran, ich konnte Brünnhildes Plomben sehen“, sagt Karin Niemeyer (73), die fürs Opernkino von Dortmund bis Bonn reist.
Bayreuth im Kino
Das Großereignis des kompletten „Ring des Nibelungen“ im Kino beginnt schon dieses Wochenende. „Rheingold“ (28.7), „Walküre“(mit Jonas Kaufman, 29.7), „Siegfried“ (4.8.) und „Götterdämmerung“ (5.8.) werden in Robert Lepages Inszenierung aus der Metropolitan Opera New York gezeigt (nicht live!) - unter anderem im Cinestar Dortmund, dem Cinemaxx Essen und dem Atelier in Düsseldorf.
Die Live-Übertragung des „Parsifal“ von den Bayreuther Festspielen ist am 11. August in NRW u.a. im Cinestar Oberhausen, dem UCI Bochum, dem Cinestar in Dortmund und drei Mal in Düsseldorf zu sehen: Atelier, UCI und Cinestar. Beginn 16 Uhr. Info unter www.wagner-im-kino.de
Die Saison der Live-Übertragungen aus New York beginnt im Oktober (13.) mit Anna Netrebko in Donizettis „Liebestrank“. Weitere Aufführungen bis Sommer 2013, darunter Verdis „Otello“ (27.10.) und „Aida“ (15.12.). Alle Termine: www.metimkino.de
Die Auswahl wird für Menschen wie Frau Niemeier immer größer: „Mit fünf Kinos ging es los, inzwischen sind es 200“, nennt Raths den aktuellen Stand der deutschen Häuser, die Rigoletto oder Lohengrin, meist in Starbesetzung für Feinschmecker, live übertragen.
„Riesen-Aufwand, wie ihn sonst kein Kino kennt“
Live, das ist die Hürde. „Ein Riesen-Aufwand, wie ihn ein Kino sonst nicht kennt“, beschreibt Arne Schmidt die Vorbereitung. „Wir machen drei Testläufe: eine Woche zuvor, dann drei Tage vor der Aufführung und direkt am Tag, kurz bevor wir übertragen.“ Das liegt an bekannten Unwägbarkeiten. „Vereiste Schüsseln“ zum Beispiel. Aber, sagt Katja Raths, „die Satellitenrucker sind rar geworden.“
Die Live-Übertragungen aus dem New Yorker Lincoln-Center beginnen um 13 Uhr in New York, damit ab 19 Uhr auf Europas Leinwänden gesungen werden kann. „Man hat wirklich das Gefühl, im Theater zu sein. Man sieht die Sänger schwitzen“, schwärmt Karin Niemeier. Manchmal sieht man sie auch Schwatzen: Rund um die Oper gibt es Blicke in die Kulissen. Arne Schmidt weiß sich damit echten Theater überlegen: „Man kann die Soprane und Tenöre sogar beim Einsingen beobachten, es gibt Kameras im Backstage-Bereich.“
„Ein gesellschaftliches Ereignis“
Im Parkett dagegen sieht es oft aus wie in der richtigen Oper. Für die meisten Fans von Walküre oder Freischütz gehört es zum guten Ton, nicht in Turnschuhen zum Tenor zu pilgern. „20 Prozent“, schätzt Raths, „sind Menschen, die nicht den großen Abend planen und das niederschwellige Angebot gut finden“. Die anderen 80 mögen’s klassisch. Sogar bei den Häppchen. „Ein gesellschaftliches Ereignis“, sagt UCI-Marketing Director Thomas Schülke, fordere eben mehr als Fanta und Gummibärchen. Im Bochumer UCI-Kino bekommen die Freunde der Oper sogar eine eigene Zone. Schülke: „Man ist garantiert unter Gleichgesinnten, wir sperren unser Lounge-Café ab, es gibt eine Sektbar, Canapés und besondere Betreuung.“
Schülke ist schon eine Weile im Geschäft, aber der Thrill der Live-Übertragung lässt ihn nicht kalt. „Es liegt eine besondere Spannung in der Luft“. Manchmal spürt sie sogar das Parkett. Einmal hat Katja Raths richtig zittern müssen: „Live von der MET“ - und es ging und ging nicht los“. Der Grund war familiär. Startenor Juan Diego Florez war zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung Vater geworden – und vom Kreißsaal zur Kulisse ist es halt ein Stück zu Fuß, da kann die Schüssel eisfrei sein wie sie will.