Düsseldorf. . Wir sehen auch, was wir nicht sehen: Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zeigt unter dem Titel “Fresh Widow“ Fensterbilder von Künstlern wie Matisse und Christo, Richter und Albers. Und dieses kreative „Windows 2012“ nun wie ein Betriebssystem für unseren bilderverstopften Wahrnehmungsapparat.

Seit sich das Fenster zur Welt auf einen Klick öffnet, ohne dass wir den Blick auch nur einen Moment vom Bildschirm lösen müssen, hat der Begriff des Fensters als Übergang von Drinnen und Draußen, von gefilterter Wirklichkeit und subjektiver Wahrnehmung eine neue technische Bedeutung bekommen. In der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW, da funktioniert dieses kreative „Windows 2012“ nun wie ein Betriebssystem für unseren bilderverstopften Wahrnehmungsapparat. Die licht gehängte, mit Malerei, Objekten und Fotografie bestückte Ausstellung ist eine Einladung zum Neu- und Anderssehen und gleichzeitig ein „Abschied vom Ausblick“, so Museums-Direktorin Marion Ackermann. Denn die klassische Kunstaufgabe des Fensters, als gerahmter Blick auf die Welt, als Sehnsuchtsmotiv der Romantik, sie hat in dieser Ausstellung ausgedient. Stattdessen dienen die 100 Arbeiten von 17 Künstlern vor allem zur Reflexion über den Prozess des Sehens.

Wir sehen also, was wir nicht sehen. Etwa wenn Verpackungskünstler Christo seine Schaufenster mit Stoff und Packpapier verklebt und uns damit die Leere verhüllt. Oder wenn Marcel Duchamp aus „French Windows“, den französischen Fenstern, eine „Fresh Widow“ macht, wörtlich etwa frische Witwe, weil die Fensterscheiben hier schwarze Lederverkleidung tragen. Die Arbeit von 1920 markiert den Bruch mit überkommenen Bild-Vorstellungen und ist titelgebend für die Schau. Wobei 99 Prozent der Besucher vermutlich auf einen Rechtschreibfehler tippen, bevor man sie mit den Hintergründen des kryptischen Ausstellungstitels vertraut macht.

Die Ausstellung ist nur halb so verkopft wie ihr Name

Glücklicherweise ist die mit vielen Quer- und Sichtverweisen ausgestattete Schau nur halb so verkopft wie ihr Name. Und wer bei Duchamp, dem Fenstermacher, noch vor zugeklebten schwarzen Scheiben steht, sieht bei Gerhard Richter schon ein bisschen weiter. Das großformatige, gläserne Objekt „7 stehende Scheiben“ gehört zu den Hauptwerken aus eigenem Bestand, genau wie Robert Delaunays farbenflimmerndes „Fenetre“, René Magrittes schablonenhaftes Begriffs-Bild „Le masque vide“ oder Jeff Walls Foto der Mies van der Rohe Foundation mit Fensterputzer.

Drumherum wurden hochkarätige Leihgaben arrangiert, die sich dem Thema annähern. Während René Magrittes Sonnenuntergang im Fenster auch noch als bruchstückhaftes Scherbenbild erscheint, wirft Olafur Eliasson sein Fenster nur noch aus Lichtsignalen an die Wand. Eva Hesses zarte Zeichnungen müssen sich gegen Robert Motherwells schwarzfinsteres „Plato’s Cave“ behaupten. Ellsworth Kellys linienfeine Konstruktionen sind eine ebenso schöne Verneigung vor der Kraft von Form und Farbe wie die Quadrate des Bottroper Bauhaus-Meisters Josef Albers. Und Toba Khedooris minimalistische Fensterzeichnungen wirken trotz ihrer Größe beiläufig gegen Sabine Hornigs bleigraue Berliner Schaufenster-Bilder, in denen sich die Leere spiegelt wie der Betrachter selbst, der am Ende auf sich zurückgeworfen bleibt. Denn was man von der Welt sieht, wenn man ein Fenster öffnet, das bleibt wie immer eine Frage der Wahrnehmung.