Ruhrtriennale will mit der Kraft der Spielstätten auftrumpfen
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Essen. . Der Intendant Heiner Goebbels will das NRW-Festival zum Erfahrungsraum für neues Hören und Sehen machen.
Neue Töne bei der Ruhrtriennale: Mit Heiner Goebbels steht bis 2014 ein Intendant an der Spitze des Festivals, der ab August die industriekulturellen Spielorte zwischen Duisburg und Gladbeck als Laborräume für neue Theatererfahrungen nutzen will. Ein Gespräch.
Herr Gobbels, Braucht man angesichts der reichen Bühnenlandschaft eigentlich noch ein Festival, das einen 40-Millionen-Etat für drei Jahre hat
Goebbels: Sicher. Es gibt noch zu wenige Festivals. In der herkömmlichen Bühnenlandschaft ist eben auch strukturell nicht alles möglich. Das hat mit Ensemble-Verpflichtungen zu tun, mit Repertoire-Betrieb. Ich finde, wir brauchen trotz dieser kulturellen Dichte unbedingt Ereignisse, die uns aufzeigen, was darüberhinaus noch alles möglich ist in der Kunst. Der Anspruch und die Finanzierung der Ruhrtriennale haben nur dann Berechtigung, wenn man etwas zeigen kann, was sonst nicht zu sehen ist.
Gleichzeitig gibt es Kritik an der Austauschbarkeit der Festivals, mit ihren immer gleichen Großkünstlern und Großereignissen.
Goebbels: Das Argument verstehe ich gar nicht; was hat das Publikum in Bochum davon, wenn man etwas in Paris oder Manchester sehen kann und umgekehrt? Und die Arbeit vieler Theaterkünstler jenseits der Stadttheater wäre überhaupt nicht möglich ohne große Koproduktions-Anstrengungen. Wir haben hier bei der Ruhrtriennale etwas sehr Besonderes, was uns von anderen Festivals unterscheidet. Das sind zuallererst sicherlich die Spielstätten. Wir wollen keine Blackbox-Produktionen zeigen, die man, um Kosten zu sparen, auch noch in den Theaterhäusern der Region präsentiert. Wir wollen auch einem großen Theaterfestival wie den Ruhrfestspielen nicht ins Gehege kommen. Wir werden versuchen, der Ruhrtriennale einen anderen Focus zu geben, der mit den Orten zu tun hat, ihrer Kraft. Und wir werden viele Eigenproduktionen zeigen, die danach dann auch auf andere internationale Festivals gehen.
Wollen Sie auch neue Orte erobern?
Goebbels: Wie würden gerne die Halde Haniel in Bottrop bespielen. Und Dortmund soll wieder auf den Spielplan. Viele Künstler, die ich in die Region eingeladen habe, sind fasziniert von der Zeche Zollern, auch von der Kokerei Hansa. Aber da gibt es noch bauliche Hindernisse.
"Die Region ist reich an Sprechtheatern. Damit wollen wir gar nicht konkurrieren"
Aber nutzt sich der Reiz der industriekulturellen Orte nicht irgendwann ab?
Goebbels: Das hängt von dem Theaterbegriff ab, den man hat. Bei einer konventionellen Theatervorstellung läuft man natürlich Gefahr, diese Räume nur als Kulisse anzusehen. Dann könnte man die Jahrhunderthalle genausogut als Bühnenbild malen. Aber das ist nicht das, was mich interessiert. Ich suche einen offenen, ästhetischen Prozess, in dem die Materialität der Hallen nicht nur den Hintergrund bildet, sondern gleichberechtigt mitspielt. Deshalb haben wir schon im letzten Oktober einigen Künstlern erste Proben in den Spielorten ermöglicht. Die Hallen sollen nicht nur Abspielraum für eine Idee sein, die man im Kopf hat, sondern die Idee soll erst in dem Ort, durch den Ort entstehen.
Wie bei John Cage in der Jahrhunderthalle?
Goebbels: Der Bühnenbildner Klaus Grünberg war von dem Ort so fasziniert, dass er gleich für unser erstes Treffen ein Modell der Jahrhunderthalle im Maßstab 1:50 gebaut hat. Das war der Ausgangspunkt für alle weiteren szenischen Überlegungen. Nun zeigen wir „Europeras 1&2“ zur Eröffnung der Ruhrtriennale. Cage versucht darin, den Europäern aus amerikanischer Sicht mindestens 200 Jahre Operngeschichte ‚zurückzugeben’ - und zwar an einem Abend. Ihm gelingt damit, aus alter Musik etwas ganz Neues zu weben. Das ist ein radikaler, überraschender und durchaus humorvoller Musiktheaterentwurf, der im Repertoire nie Einzug gehalten hat.
Also kein gediegener Einstand mit Shakespeare oder Wagner?
Goebbels: Wagner ist wohl jetzt ‚erst mal durch’. Unsere Schwerpunkte sind Musiktheater des 20. und 21. Jahrhunderts, Tanz, Performance, Grenzbereiche der bildenden Kunst. Deshalb gibt es beispielsweise eine Partnerschaft mit dem Museum Folkwang. Dort präsentieren wir „12 Rooms“. Zwölf international renommierte Künstler zeigen dort Menschen, Körperbilder, Performances. Auch über das Schauspiel haben wir lange nachgedacht. Tatsächlich ist die Region ja reich an Theaterfestivals und Sprechtheatern. Damit wollen wir gar nicht konkurrieren. Wir untersuchen Kunstformen, die sich vom Repertoire unterscheiden. Bei denen sich die Künste beispielsweise in überraschender Weise berühren, Tanz und Musik, Theater und die bildenden Künste
Eine popkulturelle Flankierung wie „Century of Song“ scheint da ausgeschlossen.
Goebbels: Sagen Sie das nicht. Wir werden vielleicht nicht die Heroes der 70er auf die Bühne bringen, die können sie anderswo sehen. Aber wir untersuchen durchaus den Pop an den Rändern, wo er zur Kunst wird.
"Einmal etwas Grandioses zu sehen, kann die Welt schon auf den Kopf stellen"
Haben Sie keine Angst, das Publikum zu überfordern?
Goebbels: Wenn man mit Selbstbewusstsein auf die Neugierde der Zuschauer setzt und sie nicht enttäuscht, dann muss man sich keine Sorgen machen. Ich gehe davon aus, dass man nicht immer alles verstehen muss, was da zu sehen ist. Wenn es uns gelingt, Zuschauer vielleicht sogar ein zweites Mal in eine Produktion zu locken, die sie beim ersten Mal nicht verstanden haben, dann wären wir schon weiter. ‚Verstehen’ wird oft zu sehr reduziert auf das, was man schon kennt. Das ist aber dann keine künstlerische Erfahrung. Kunst behält ihre Geheimnisse
Anders als Ihre Vorgänger haben Sie Ihre Intendanz nicht mal mit einem großen Thema überschrieben.
Goebbels: Wenn es überhaupt ein Thema gibt, dann, dass die Zuschauer im Zentrum dessen stehen, was wir anbieten wollen. Mich interessiert es nicht, ihnen meine Haltung aufzudrängen, sie zu überrumpeln oder einzuschüchtern. Mich interessiert es eher, im Theater wiedergutzumachen, was in den Medien - und da nehme ich die Zeitungen ausdrücklich aus - verloren geht: Uns fehlen Erfahrungs-Räume, in denen wir selbstbestimmt sehen und hören und etwas entdecken können. Da kann ein Theaterraum zu so etwas wie einem Museum der Wahrnehmungen werden.
Aber wenn Büchereien schließen, Museen um ihre Zukunft bangen und den Kindertheatern oft nur 5000 Euro fehlen, um eine Produktion auf die Bühne zu bringen: Hat man da nicht ein ungutes Gefühl, mit vielen Millionen recht frei arbeiten zu können?
Goebbels: Überhaupt nicht. Diese Kürzungen in diesen Bereichen sind natürlich eine Katastrophe. Aber wenn Sie sehen, was in Deutschland für freie darstellende Kunst ausgegeben wird im Verhältnis zu institutionalisierter Oper und Theater , dann liegt dieser Anteil schätzungsweise bei drei bis fünf Prozent. Dabei müsste sich dieser Anteil gerade in Zeiten angespannter Ökonomie verändern, weil man in den freien Theaterbereichen wesentlich kostengünstiger arbeiten kann.Außerdem sollen Festivals ja keine Alternative sein zur kulturellen Bildung sondern singuläre Erfahrungen möglich machen. Wenn ich zurückblicke, gibt es vielleicht, sechs, vielleicht auch nur vier Aufführungen, die mein Leben verändert haben. Ich erinnere mich z.B. an ein Stück von Einar Schleef in Frankfurt, in den 80ern. Da hab ich zum erstenmal gespürt, wie Sprache auf eine körperliche Weise etwas anderes mitteilen kann als nur Inhalte. Einmal so etwas Grandioses zu sehen, das kann die Welt schon auf den Kopf stellen.
Zur Person:
Heiner Goebbels ist mehrfach ausgezeichneter Komponist, Regisseur und Hörspielautor. Der einstige Mitbegründer der „Sogenannten linksradikalen Blasorchesters“ gilt als Spezialist für spartenübergreifende Kunstformen. In den 80ern wurde er mit „Hörstücken“ nach Texten von Heiner Müller bekannt. Zur Wiedereröffnung des Pariser Centre Pompidou entwickelte er eine eigene Soundinstallation und komponierte zahlreiche Musiktheater-Produktionen. Der 59-Jährige ist Leiter des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
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