Essen. . Leonard Cohen erklimmt mit seinem Studioalbum „Old Ideas“ den Gipfel seiner Alterskarriere. Seine Suche nach Weisheit aber geht weiter, auch wenn das Leben ihm manchmal schal erscheint. Die Liebe, so erfährt man aus den Songs, lässt den Erotiker unter den Songschreibern nicht los.

Er hat das Leben in vollen Zügen gekostet, die Liebe, die Zigaretten, den Alkohol. Er wollte innere Erleuchtung und Frieden finden und stieg dazu auf einen Berg. Das Leben des Leonard Cohen war eine ständige Suche nach Sinn und nach Weisheit. Wenn der alte Sänger, dessen Stimme im Laufe der Jahrzehnte vom zärtlichen Bariton zum brüchigen Bass gesunken ist, nun mit 77 Jahren sein neues Album vorlegt, ist das kein altersweises Resümee, sondern ein Beleg dafür, dass seine Suche wohl nicht enden wird, bevor das Herz aufhört zu schlagen.

Schon mit dem selbstironischen Titel „Old Ideas“ zeigt er, dass er zwar viel gelernt hat, vor allem aber doch weiß, dass er nichts weiß. Überhaupt, die Ironie! Ihr verdanken wir es, dass Leonard Cohen sich zu einer so brillanten Alterskarriere durchringen konnte, wie wir sie in den vergangenen Jahren erleben durften.

Denn nachdem er sich in den 90er-Jahren zurückgezogen hatte, sich zum buddhistischen Mönch hatte ausbilden lassen und den Namen Jikan (der Leise) erhielt, wurde er von der brutalen ökonomischen Realität wieder zurück ins Musikerleben gezogen: Kelley Lynch, seine Managerin, hatte sein Konto um einige Millionen erleichtert.

So musste der Mann, der sich Buddha verschrieben hatte, plötzlich wieder dem Dollar dienen: Cohen nahm neue Alben auf – „Ten New Songs“ (2001) und „Dear Heather“ (2004). Und weil das heutzutage nicht mehr ausreicht, ging er ab 2008 wieder auf Tournee, auf der er allein durch die Präsenz seiner gereiften Stimme das Publikum überwältigte.

Vom Zeitgeist gelöst

Mit „Old Ideas“ erklimmt Cohen nun den Gipfel dieser Alterskarriere, mit einem Album, das sich so vom Zeitgeist gelöst hat, dass es zu schweben scheint. Was soll man auf einem Cohen-Album auch groß mit Instrumenten anfangen, wenn man diese Stimme haben kann, die Liedzeilen wie Gedichte rezitiert, halb singt und halb spricht?

Dabei könnte man in den ersten Minuten dieses Albums, in der selbstironischen Bespiegelung „Going Home“ noch denken, dass hier jemand im Einklang mit sich selbst steht und sich mit Distanz betrachten kann: „He’s a lazy bastard living in a suit“. Ein fauler Bastard im Anzug also, so sieht Cohen sich in diesem Song, der den eigenen Tod bereits vorwegnimmt.

Es soll nicht die einzige Begegnung Cohens mit dem Tod bleiben, denn es wird noch depressiver: „I’ve got the darkness, baby, and I’ve got it worse than you“, singt er. Wenn Schwärze strahlen könnte, dann täte sie es hier. Es ist ein Song, der vom Schalwerden des Lebens erzählt, davon wie es ist ohne Zigaretten, ohne Alkohol. Und wenn Cohen bemerkt, dass er keine Zukunft und nur noch Tage habe, meint er das durchaus ernst.

Könntest du mich weniger hassen?

Sollte man „Old Ideas“ nun als Abschiedsgruß begreifen? Kaum, denn Cohen galt schon immer als jemand, zu dessen Songs man gern die Rasierklinge ans Handgelenk führt. Er ist weit davon entfernt, sich aus dem Leben zu verabschieden, solange ihn dieses verrückte, alte Ding namens Liebe nicht loslässt. Und das tut sie nicht, wie er im drängenden „Crazy To Love You“ oder besser in „Anyhow“, einer großen Ballade über Verletzungen und das Vergeben offenbart: „I know you have to hate me, but could you hate me less?“ Zwar suchen wir vergebens nach Namen wie Marianne, Suzanne, aber Diskretion ist ja kein Indiz für mangelnde Leidenschaft.

Wenn man nach Altersmilde sucht, wird man sie finden, etwa in „Come Healing“, einem im Vergleich zum Rest des Albums üppig instrumentierten Gebet mit Hintergrundchor, das sich nach Harmonie sehnt.

Solange Cohen Songs von derartiger Intensität aufnimmt, wird man ihm wünschen – und das möge er uns verzeihen –, dass er weiterhin in unruhigen Zeiten lebt – und seine Suche ihn niemals ans Ziel führen mag.

  • Leonard Cohen: Old Ideas (Sony Music)