Essen. Mit Spionageromanen wurde der Schriftsteller John le Carré weltbekannt. Der Mann ist gebildet, kann Schiller zitieren und versteht es, die Spielweise von Mesut Özil zu erklären. Jetzt feiert er seinen 80. Geburtstag.
Er zitiert Schiller und kann Mesut Özil erklären. Ein Glückwunsch zum Achtzigsten für John le Carré.
Bern im Sommer 1949. Die Rede des Dichters, der aus dem Exil kommt, geht in Buh-Rufen berauschter Jungmänner unter. Um sich für Kommilitonen zu entschuldigen, klopft der Gaststudent aus England an die Garderobe des Nobelpreisträgers. „Thomas Mann selbst öffnet und starrt uns an. Er ist sehr groß, trägt ein weißes Hemd und schwarze Hosenträger. ‚Was wollen Sie?’ herrscht er uns mit aller Strenge eines Lübecker Patriarchen an. ‚Ich wollte ihre Hand schütteln’, stotterte ich. ‚Hier ist sie’, antwortet er.“
Politische Fragen
Kurze Begegnung, nachhaltige Wirkung. Die deutsche Sprache und Kultur, die er in der Schweiz studierte, und unsere Geschichte mit all ihren Abgründen, hat David Cornwells Biografie begleitet, sie grundiert das Werk, das er als „John le Carré“ signiert. Seine Zeit im Geheimdienst verarbeitet er in einem Thriller über Bonn – und in einem über Berlin, der ein Welterfolg wird. „Der Spion der aus der Kälte kam“, sagt Graham Greene 1963, sei der beste Spionageroman of all times.
Regelmäßig folgt dann alle zwei Jahre ein neuer Roman... bis es einundzwanzig sind! Sein Meisterwerk bleibt die Trilogie um den Spion George Smiley, den Melancholiker (und Germanisten), der die gespaltene Welt wieder einrenken soll, aber vor allem die kollektiven Ängste und Psychosen des Kalten Krieges offen legt. Gerade eben kommt, als ein großartiges Geburtstagsgeschenk, Tomas Alfredsons Verfilmung von „König, Dame, As, Spion“ (1974) neu in die Kinos. Großartig auch die Roman-Autobiografie „Ein blendender Spion“ (1986). Philip Roth, ein Kollege gleichen Kalibers, nannte sie „den besten englischen Roman nach 1945“. Die neue Welt mit ihren zahllosen Krisenherden hat le Carré besser im Blick als die meisten Politiker. Zwischen Kaukasus und Karibik geht es auch nach Deutschland zurück, so in „Marionetten“ (2008), seinem vorletzten Roman, der in Hamburg spielt.
Scharfe Kritik an George W. Bush
Gelegentlich äußert er sich direkt zu politischen Fragen, doch ohne Besserwisserei. Etwa mit scharfer Kritik an George W. Bush, aber auch am britischen Bildungssystem. Und mehrfach wirbt er bei seinen Landsleuten für ein Bild von Deutschland, das sich auf Interesse und Kenntnisse stützen sollte. Und nicht auf aufgewärmte Nazi-Klischees der Massenblätter, die mit jedem Länderspiel giftiger werden.
In einer jener Eliteschulen, die er selbst erlitt, ruft er aus: „Engländer, habt kein Angst vor den Deutschen!“ In Weimar, wo er die Goethe-Plakette erhält, spricht er über Schiller („ginge er heute aus Verzweiflung in die IT-Branche?“). Er kennt das Problem der Nazi-Vergangenheit im Auswärtigen Amt und wirbt fürs Grundgesetz, „die beste Verfassung in Europa und vielleicht in der Welt“. In Weimar sagt er an Goethes Geburtstag: „Ich war sieben, als der Krieg ausbrach. Ich habe ihn nicht angefangen, und Sie haben nicht den Garten meines Großvaters bombardiert.“ Und erklärt zuhause, was es politisch und kulturell bedeutet, dass Mesut Özil aus Gelsenkirchen für Deutschland zaubert.
Längst ein Klassiker
Er ist längst ein Klassiker. Seine Romane werden in vielen Millionen Exemplaren in der ganzen Welt gelesen. Fast so wie die des strengen alten Herrn aus Lübeck, von dem er manches gelernt hat. In der Thrillerindustrie ist John le Carré der letzte Schriftsteller. Und bleibt ein kritischer Beobachter und Freund der Deutschen. Gern würden wir an seinem 80. Geburtstag „die Hand schütteln, die Thomas Manns Hand geschüttelt hat“ (Selbstironie kann er natürlich auch). Daraus wird wohl nichts werden. Aber mit gutem Grund singen wir diesmal nicht Happy Birthday to You, sondern: Zum Geburtstag viel Glück!
Der Gastautor Jochen Vogt, Experte für Spannungsliteratur, ist emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen.