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130.000 Briefe Feldpost monatlich: Ein neues Buch versammelt die Soldaten-Briefe aus Afghanistan – gegen den Willen der Bundeswehr. Der Band bringt uns den Einsatz näher als alles, was wir im Fernsehen darüber sehen.
In unseren Köpfen ist Krieg schwarz-weiß: auf verblassten Fotografien, auf mürbem Briefpapier. Dabei transportiert die Feldpost der Deutschen Bundeswehr heute wieder Briefe, monatlich 130.000. Wenn nun ein Buch Soldaten-Post aus Afghanistan versammelt, dann bringt uns dies den Einsatz näher als alles, was wir im Fernsehen darüber sehen.
„Du fragst nach Angst. Zum Glück bisher nicht. Ich bin mit einem kühlen Gemüt gesegnet.“ Hauptfeldwebel Rolf Schmitz, 28, Kundus 2009
Nein, es handelt sich nicht um jene Briefe, die bundeswehrintern geöffnet wurden. Eher hat die Bundeswehr versucht, das Buch zu verhindern. Im Jahr 2007 baten fünf Journalisten um Hilfe: Sie suchten Soldaten, die Briefe und Mails zur Veröffentlichung freigeben. Klangen die ersten Telefonate mit Presseoffizieren noch „verheißungsvoll“, so fanden sich später Gründe, die Journalisten nicht zu unterstützen: Erst sorgte man sich, es könnten „militärisch relevante Inhalte“ verraten werden; dann ging es um Kraftausdrücke; schließlich hieß es, man könne an solche Briefe ja gar nicht herankommen!
„Täglich erfrieren und verhungern Menschen in Afghanistan“
„Täglich erfrieren und verhungern Menschen in Afghanistan. Und man selbst schaut in diese traurigen braunen Augen und kann nichts dran ändern.“ Oberfeldwebel Dominik Hirz, 31, Kabul 2008
Als klar war, dass die Journalisten selbst Kontakt zu Soldaten suchen, schrieb der Pressestab Rundmails. In der Einleitung zum Buch wird eines dieser Schreiben zitiert. Vorgesetzte sollen Soldaten an „die geltenden Bestimmungen zur Weitergabe sicherheitsrelevanter und dienstlicher Informationen“ erinnern. Denn: „Ziel des Artikels ist ..., den Lesern einen möglichst realistischen Einblick in den Alltag des deutschen Kontingents zu geben.“ Kann das denn falsch sein?
„Plötzlich eine Detonation, der Boden vibriert“
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„Liebe Tochter: Nachdem ich den Afghanen unsere Familienfotos gezeigt habe, haben zwei sich als Schwiegersöhne beworben... Anbei Fotos. (Scherz!! Grins!! Lach!!)“ Hauptmann Marc Jötten, 54, Kabul 2004
Aus Angst ließen sich nun einige der Schreibenden anonymisieren, auch wenn ihre Post keine Geheimnisse verrät. Dass manches Lager überfüllt ist oder Rettungswege vollgemüllt sind, dürfte nicht das größte Problem in Afghanistan sein. Vielleicht aber fürchtet die Bundeswehr die Personalisierung eines „innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes“, in dem selbst die Bundeskanzlerin längst „kriegsähnliche Zustände“ erkennt – und der seit 2001 immerhin 46 deutsche Soldaten durch Unfälle und Anschläge tötete.
„Plötzlich eine Detonation, der Boden vibriert. Ich drehe mich um und sehe einen Staubpilz in der Luft, 50 Meter vor uns… ein Mörser- oder Raketenangriff. ... Ich lade mein Gewehr und spüre das Adrenalin. Ich bin perplex, dass ich weder Angst noch Panik verspüre .“ Oberstleutnant Boris Barschow, 43, Masar-i-Scharif 2009
„Nach dem zweiten Bunkeralarm entwickelt auch der Philanthrop blutige Rachegelüste“
Das kollektive Zeugnis von Heimweh, Draufgängertum und Unsicherheit holt die Soldaten ganz nah heran. Klar, sie erfüllen Klischees, sie gucken „Gladiator“, trinken Bier in „Betreuungseinrichtungen“ (Zivildeutsch: Kneipen). Sie schreiben heim: „Frauentechnisch hab’ ich leider noch nichts zu bieten“. Das ist nicht immer hohe Literatur. Aber hat nicht selbst Ernst Jünger in seinen Kriegstagebüchern in hilfloser Prahlerei das Artilleriefeuer lautmalerisch umschrieben: „Bum, bum, huiuiui, huiui, Bautz, Bautz“? Wenn nun ein junger Soldat nach Hause meldet, „um zehn Uhr dann lustiger Alarm“, ist Flapsigkeit ein Fluchtweg.
„Spätestens nach dem zweiten Bunkeralarm entwickelt auch der Philanthrop blutige Rachegelüste. Die einfachste Lösung, die von den Soldaten favorisiert wird, ist der Artillerie-Gegenschlag… aber die Taliban sind nicht blöd. Schon die nächsten würden die Rakete neben einem Kindergarten starten.“ Oberstabsarzt Jens Weimer, 35, Kundus 2009
Nach dem Angriff auf den Tanklaster 2009 schreibt eine Soldatin, sie werde die Bundeswehr verlassen: Weil die Soldaten als „schießgeile Rambos“ dastünden. Das las sie, so ist das in modernen Kriegen, im Internet. Andererseits gibt das Netz Halt. So dankt ein heimreisender Soldat Freunden und Familie: „Insgesamt erreichten mich 65 E-Mails, 293 Nachrichten bei StudiVZ und 638 (!!!) Rufvorgänge aus Deutschland.“
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