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Die Schriftstellerin Karen Duve hat im Selbstversuch „anständige“ Ernährung getestet - und ein Buch darüber geschrieben. Sie lobt die Freiheit des Verzichts und hofft auf Massenproteste gegen Massentierhaltung.

Die meisten Menschen wissen, wie die Tiere behandelt wurden, die sie essen. Die wenigsten ziehen Konsequenzen. Autorin Karen Duve (49) aber hat sich mit der eigenen Ernährung intensiv beschäftigt. Im Interview mit Britta Heidemann erklärt sie, warum sie sich durch den Dioxin-Skandal bestätigt fühlt.

Wird uns unser eigenes Wegschauen zum Verhängnis?

Karen Duve:Allerdings. Solange unser erstes und einziges Kriterium beim Einkauf von Lebensmitteln der Preis ist, wird bei der Herstellung von Fleisch auch weiterhin vor allem darauf geachtet werden, so billig wie möglich zu produzieren. Und am meisten lässt sich offenbar beim Futter einsparen. Das liegt nicht nur an einzelnen kriminellen Subjekten, sondern am System der Massentierhaltung, das auf der Suche nach dem allerbilligsten Fleisch immer weiter auslotet, was man einem Tier noch alles zumuten und füttern kann. Auch der Rinderwahnsinn BSE ist durch das Füttern ungeeigneter Substanzen entstanden. Wer nicht wissen will, wie das Fleisch auf seinem Teller hergestellt wird, kriegt jetzt die Quittung dafür. Es ist naiv zu glauben, dass eine Industrie, die ihre Profite durch die rücksichtslose Ausbeutung von Tieren und Umwelt macht, sich dem Konsumenten gegenüber dann plötzlich besonders verantwortungsvoll verhält.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Ihre Moral gehe offenbar über die unseres Staates hinaus.

Duve:Ich habe mir vorher einfach nicht klar gemacht, dass das politisch durchaus gewollt ist, dass Fleisch aus Massentierhaltung gegessen wird. Ich empfinde das als Unrecht. Ich finde das nicht angemessen für einen zivilisierten Staat, dass hier in großem Stil Tiere gequält werden.

Das gilt aber für alle Staaten weltweit.

Duve:Man darf aber auch gerne mal Vorreiter sein. Wir müssen davon ausgehen, wenn Indien und China so weitermachen, dass wir bis 2050 weltweit eine Verdoppelung des Fleischkonsums haben werden. Und die Folgen für das Klima sind ja jetzt schon katastrophal. Da können wir uns nicht hinstellen und sagen, ihr dürft nicht. Wir müssen als erste zurückrudern. Zudem kann auch unser Gesundheitssystem das bald nicht mehr wuppen, wenn die Diabeteserkrankungen weiterhin so zunehmen, wie es zurzeit der Fall ist. Und für einen selbst ist es sowieso gut, weniger Fleisch zu essen!

Wie sollten wir vorgehen, wenn wir unsere Ernährung ändern wollen?

Duve:Es tun – und sich damit auseinandersetzen. Als ich begonnen habe, vegan zu leben, schien mir das extrem rigide. Und dann habe ich gemerkt: Das ist eigentlich gar nicht besonders schwierig. Es fällt mir zwar schwer, auf Käse zu verzichten – aber Kleidung und Schuhe ohne Leder zu tragen, das ist einfach. Wenn man sich mit der Ernährung beschäftigt, gewinnt man ein Stück Lebensqualität. Man wird auch erwachsener und ernster, weil einem viele Dinge bewusst werden.

Und in dem Bewusstsein liegt die Lebensqualität?

Duve:Ja. Ich finde, nicht jeder muss sich so rigide einschränken wie der veganste Veganer. Jeder soll es so machen, wie er selbst es für richtig hält. Aber dazu gehört eben auch, dass man genau weiß, was man tut. Es ist ja nicht so, dass ich heute ein anderes Wertesystem hätte als vorher, sondern so, dass ich mir früher überhaupt keine Rechenschaft abgelegt habe, über das was ich kaufte und aß und wo die Dinge herkamen. Wir müssen nur hingucken und uns fragen: Kann ich verzichten? Und wenn man partout nicht verzichten will, dann kann man sich eben sagen: Okay, ich mache es nicht gut, aber ich versuche wenigstens, es besser zu machen. Wenn schon Fleisch, dann wenigstens Bio.

Das heißt, eigentlich geht es ums eigene Selbstbild?

Duve:Ich habe mich gefragt, warum habe ich mich so lange geweigert, darüber nachzudenken, wo das Fleisch herkommt? Warum habe ich dieses Denken verweigert? Es könnte sein, dass ich schon geahnt habe, dass ich meinen eigenen ethischen Ansprüchen nicht genügen werde. Ich stand am Ende davor, dass ich mich bewusster, rücksichtsvoller, verantwortungsvoller benommen habe als je zuvor – und das gleichzeitig mein Selbstbild schlechter war.

Dennoch findet gerade ein Wertewandel statt?

Duve:Ja, ich habe das Gefühl, dass die Meinung, große Mengen Fleisch zu essen sei legitim, in diesem Jahr einen ziemlichen Dämpfer bekommen hat. Die Akzeptanzgrenze hat sich deutlich verschoben. Der Stuttgart-21-Protest hat mir zudem Hoffnung gemacht, dass die Bürger vielleicht bald auch gegen die staatlich tolerierte Massentierhaltung protestieren. Das klingt vielleicht naiv – aber was in Stuttgart passiert ist, hätte vorher ja auch keiner geglaubt.

Der Selbstversuch als Buch

Die Hähnchen-Grillpfanne zu 2,99 kostete nicht nur ein Leben (das des Hähnchens), sondern zwei. Denn Autorin Karen Duve lebt heute nicht mehr so wie vor einem Jahr, als ein Supermarkteinkauf mit einer entsetzten Vegetarierin ihrer Liebe zu Fertiggerichten ein Ende machte. Sie wird nie wieder so leben: gedankenlos konsumierend, nur dem eigenen Geschmack verpflichtet.

Jeweils zwei Monate lang testete Duve Ernährungsformen: vegetarisch, vegan, sehr sehr vegan, frutarisch. „Befreite“ nachts Hühner aus Massentierhaltung (ähnlich wie US-Kollege Jonathan Safran Foer) und diskutierte mit Frutariern, ob Getreide bei der Ernte „getötet“ werde. Aß kein Fleisch mehr, keinen Käse – und zuletzt gekochte Erbsen mit Kokosnussmilch. Über all dies schrieb sie ein unterhaltsames, bissiges, aufrüttelndes Buch: „Anständig essen“ (Galiani Verlag, 338 S., 19,95 €). Es endet mit fünf Vorsätzen: Möglichst „bio“ einzukaufen und viel weniger Fleisch, Fisch und Milch, keine Ledersachen mehr zu benutzen. Und: Möbel, Kleidung gebraucht zu kaufen – der Müllberge wegen.

Denn: „Freiheit bedeutet nicht nur, zu tun, was man will“, schreibt sie, „sondern auch, zu wissen, was man tut, Überzeugungen zu haben und danach zu handeln.“