Essen. .

Der Autor Jonathan Safran Foer hat eine Debatte über das Fleischessen angestoßen. Für sein aktuelles Buch begleitet er Tierschutz-Aktivisten und malt blutige Bilder von geschundenen Kreaturen. Aber er rät nicht zum totalen Verzicht.

Es ist eines der seltsamen Phänomene von Elternschaft, dass sie wie eine Lupe wirkt: und zeigt, was uns wirklich wichtig ist im Leben. Den US-amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer brachte seine Vaterschaft dazu, sich endgültig mit einem Thema auseinanderzusetzen, dass ihn zeitlebens beschäftigt: der Frage, ob der Mensch Tiere töten und verzehren darf. Sollte sein Sohn einmal Burger zu essen bekommen? Und wenn er fragt, ob das Schwein leiden musste? Foers Antwort ist eine Reportage aus Tierfarmen und Schlachthäusern, die angetan ist, jeglichen Appetit auf Grillhähnchen und Co. für immer zu verderben. Sie endet mit dem dringenden Rat, unseren Fleischkonsum zumindest zu reduzieren.

Das ist nicht überraschend. Warum eigentlich nicht? Weil die Menschen unweigerlich annehmen, schreibt Foer, „dass eine gründliche Erforschung landwirtschaftlicher Nutztierhaltung unweigerlich vom Fleischessen wegführt”. Dies ist ja Foers eigentliches Verdienst: Seinen Leser etwas vor Augen zu führen, was er eigentlich weiß – aber nicht sehen will.

Einbrüche auf Hühnerfarmen und blutige Bilder von geschundenen Kreaturen

Foer ist einer der Jungstars der US-Literatur und, seit der Hochzeit mit Schriftstellerin Nicole Krauss, Teil des hippsten Paares der Zunft. Nun wirft er sein ganzes Gewicht in eine Waagschale, zieht er alle Register. Er begleitet Tierschutz-Aktivisten bei ihren nächtlichen Einbrüchen in Hühnerfarmen, er malt blutige Bilder von geschundenen Kreaturen. Er führt seine Leser in Schlachthäuser. Er zeigt ihnen die Seen aus Exkrementen, die eine Schweinefarm jährlich erzeugt. Er beschreibt das nur 40 Tage kurze, qualvolle Leben eines überzüchteten Grillhähnchens, beschreibt sein Sterben.

Den Bildern stellt er Zahlen zur Seite, die zeigen, dass die Gesellschaft der Fleischesser vor allem sich selbst gefährdet: 83 Prozent allen Hähnchenfleisches ist US-Statistiken zufolge infiziert mit Salmonellen oder Bakterien. Schweine- und Vogelgrippe zählt Foer zu den Mutationen, die eindeutig in Tierfarmen entstanden seien. Er warnt vor Antibiotika-Resistenzen. Er prangert den schwindelerregenden CO2-Ausstoß der Massentierhaltung an. Amerika ist weit weg? Keinesfalls. In der deutschen Übersetzung seines Buches betont er, dass zwar die Zahlen den US-Markt beträfen – Deutschland jedoch das Land sei, das diesem Markt weltweit am ähnlichsten ist. Auch hierzulande wäre Foer zum überzeugten Vegetarier geworden: „Am Schluss des Buches schreibe ich, dass ich zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort womöglich andere Entscheidungen hinsichtlich des Essens von Tieren getroffen hätte. Deutschland ist jedoch nicht der Ort, den ich mir dabei vorgestellt habe.”

Ethisch korrekte Ernährungsstile im Selbsttest

Tatsächlich findet er gerade in Deutschland eine kollegiale Mitstreiterin. Die Autorin Karen Duve arbeitet an einem Buch, das im Winter erscheinen wird und den sprechenden Titel „Anständig essen” trägt. Im Selbstversuch testet die Autorin vier verschiedene, ethisch korrekte Ernährungsstile. Das ist offenbar so anstrengend, dass sie allein dem „Spiegel” ein Interview gewährte und sonst niemandem. Dem Magazin sagte sie: „Ich bin jetzt meistens der Problemfall, der Außenseiter.”

Das könnte sich bald ändern. Nach der Öko-Welle der 80er-Jahre scheint jetzt die Zeit reif für die Generation Fleischlos. Die Gutmenschen von heute allerdings sind kompromissbereit und pragmatisch. So hält Foer in seinem Buch nicht etwa ein Plädoyer für rigides Vegetariertum, sondern empfiehlt, Fleisch für besondere Gelegenheit aufzusparen (was ihm Tierschützer und das Feuilleton der Zeit-Redaktion bereits vorwerfen.) Foer nimmt zur Kenntnis, dass Esskultur eben auch dies ist, Kultur. „Wir bestehen aus Geschichten”, schreibt Foer, und auch unsere Nahrungsaufnahme besteht aus Selbstbildern, Stories, Traditionen. Wenn Foers Familie sich um den Hähnchen-Möhren-Topf seiner Großmutter schart, ist das ein freudiges, trauriges, triumphales Ereignis. Als Jüdin floh die Großmutter einst aus Europa. Ihre Reaktion auf ihren Urenkel lautete so: „Wie schwer ist es?”

„Geschichten über Essen sind Geschichten über uns”, schreibt Foer, „unsere Vergangenheit und unsere Werte.” Mit Traditionen zu brechen ist nicht leicht. Und trotzdem: An Thanksgiving, diesem höchsten aller US-amerikanischen Feier- und Familientage, gibt es im Hause Foer keinen Truthahn mehr.

Jonathan Safran Foer, „Tiere essen“, 19,95 Euro

Pro: Als Vegetarier lebe ich einfach besser

Contra: Warum ich nicht auf Fleisch verzichte