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Das Musical lebt. Neben Klassikern ziehen vor allem die großen Familien-Produktionen dauerhaft Publikum. Jetzt singt „Evita“ im Essener Colosseum und soll den zuletzt schwächelnden Musical-Standort wieder flott machen.
Forever young: Evita Péron, die ebenso vergötterte wie umstrittene First Lady Argentiniens, starb mit 33 Jahren. Fast genauso lang, seit der Premiere von Andrew Lloyd Webbers Singspiel 1978, lebt sie in einem Musical fort, das so etwas wie die große Konstante einer Branche geworden ist. Stücke kommen und gehen, „Evita“ bleibt.
Jetzt singt sie im Essener Colosseum. Ein Neuanfang, der den zuletzt schwächelnden Musical-Standort wieder flott machen soll. Denn der „Broadway an der Ruhr“ erfüllte nicht überall die ganz großen Hoffnungen. Im Duisburger Theater am Marientor lief’s nach den Miserablen nicht mehr ganz so prächtig. Im Colosseum war bis letzten Sommer „Buddy Holly“ der Star. Während in Bochum ein Phänomen zu besichtigen ist, das seit über 20 Jahren läuft und läuft und läuft, der „Starlight Express“.
Musical - beliebteste Live-Unterhaltung der Deutschen
Nach den Unterhaltungs-Sternen zu greifen, das schien Anfang der 1990er Jahre erfolgsversprechend. In Hamburg machten sie mit „Cats“ erstmals die großen Musical-Mäuse und weckten in vielen Städten und Kommunen die Hoffnung, mit singenden Katzen und tanzenden Löwen auf die touristische Landkarte zu kommen. Stuttgart baute „Miss Saigon“ einen Lieder-Tempel, Oberhausen veredelte den „Centro“-Einkauf mit Opern-Phantom und Hexen-Zauber, Köln stellte dem Dom eine gläserne Musical-Kuppel an die Seite und versprach: „We Will Rock You“.
Die Geschäfte gehen gut, immer noch. Rund sieben Millionen Besuche im Jahr – das macht das Musical zur beliebtesten Live-Unterhaltung der Deutschen. Mit regionalen Unterschieden. „Die Musical-Stadt Deutschlands ist seit „Cats“ nun mal Hamburg“, sagt Michael Brenner, Produzent und Impresario des Entertainment-Unternehmens BB Promotion. Wer neue Themen am Markt etablieren möchte - von tanzenden Nonnen bis singenden Affenmenschen - der tut das an der Waterkant und nicht unbedingt im Ruhrgebiet, „wo ein wirklicher touristischer Strom nicht stattgefunden hat“. Doch auch Brenner will den Broadway an der Ruhr nicht stilllegen. Statt teure Unterhaltungsimmobilien zu betreiben, zeigt Brenner internationale Produktionen in wechselnden Spielstätten. Seit gestern im Colosseum mit „Evita“.
Evita
Man kann gegen die ehrgeizige blonde Lady mit dem Wohltätertick einiges sagen, aber als Lobbyistin eines von Theater-Puristen unter Kommerzverdacht gestellten Unterhaltungsgewerbes hat sie viel erreicht. Dass so große Häuser wie die Kölner Philharmonie, zuletzt sogar Dresdens Semperoper ihre Bühnen für Lloyd Webbers Musicalklassiker freigaben, ist gut fürs Renommee. „Wenn „Evita“ in der Semperoper zu sehen war, überlegt niemand mehr, ob das eine zweitklassige Produktion sein könnte“, weiß Brenner.
Es geht um Glaubwürdigkeit. Manchem ist das "Phantom der Oper“ eben schon als „Phantom der Mehrzweckhalle“ erschienen. Zwischen „B- und C-Anbietern“, wie Brenner die Konkurrenz nennt, das Publikum zu finden, das an A-Klasse interessiert ist, an der Originalproduktion, das ist seine Mission.
In Essen, wo Brenner einst Ballettstars wie Nurejew in der Grugahalle holte, schätzt er ein „tolles Publikum“. Drei, vier Gastspiele plant der 58-Jährige pro Jahr. Von „Rocky Horror Show“ bis „West Side Story“. Klassiker sind gut fürs Tourneegeschäft. „Die haben ihr festes Publikum. Aber man kann sie eben nicht Monate, geschweige Jahre spielen.“
Den längsten Atem beweist zumeist Familientaugliches
15 Jahre lang schnurrten „Cats“ an der Reeperbahn. Für die meisten Produktionen im Revier fiel der Vorhang zuletzt schneller. Den längsten Atem beweist zumeist Familientaugliches wie „König der Löwen“ in Hamburg oder eben „Starlight Express“ in Bochum, anfangs ein Verlustgeschäft. „Starlight ist ein Spektakel, ein Sonderfall“, sagt Brenner. Der Glaube, sowas am Fließband produzieren zu können, habe sich als Irrtum erwiesen.
Auch Lloyd Webbers „Evita“ bleibt eine Ausnahme. First Ladies sind eben selbst am Broadway eine Rarität.