Essen. .
„Evita“ im Essener Colosseum ist eine bravouröse Gratwanderung zwischen Egomanie und sozialem Engagement. Das Musical zeigt tangodurchfeuchtete Musik, exotisch angehauchte Schauplätze und großes, schmerzhaftes Schicksal.
Evita Perón ist sicherlich die schillerndste Figur im Musical-Schaffen des Andrew Lloyd Webber. Nach erneutem Sehen muss man zugestehen, dass die 30 Jahre alte „Evita” musikalisch und inhaltlich vielleicht das Beste ist, was der britische Komponist gemeinsam mit Librettist Tim Rice auf die Bühne gebracht hat. Überzeugen kann man sich davon nun in Essen, wo die Londoner West-End-Produktion letzter Hand von Bob Tomson und Bill Kenwright zu sehen ist.
Evita
Wobei wir nicht verhehlen wollen, dass Ausstattung und Handlungsort viel zur Faszination des Musicals beitragen. Argentinien in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das ist ein Garant für farbenfrohen Dresscode, tangodurchfeuchtete Musik, exotisch angehauchte Schauplätze und großes, schmerzhaftes Schicksal. Das entfaltet sich in Gestalt der jungen Eva Duarte, die eine steile Karriere im Blick hat und sich dafür planvoll promiskuitiv an die Spitze schläft. Endstation ist Oberst Juan Perón (Mark Heenehan), in dem sie schon früh den kommenden Staatspräsidenten wittert.
Abigail Jaye ist in der Londoner Produktion nicht nur stimmlich eine hinreißende Titelheldin, die das „Don’t Cry For Me, Argentina“ wunderbar samten klingen lässt. Auch schauspielerisch meistert sie den Parcours aus Gier, Egomanie und sozialem Engagement bravourös. Jaye ist überzeugend schon als energischer, erfolgssüchtiger Teenager in der Provinz, später als Präsidentengattin und Volksheldin mauert sie eine menschliche Größe um sich herum, die all ihre dunklen Seiten verdecken hilft. Kongenial gleitet Mark Powell als Ché mit ihr durch die Stationen ihres Lebens: ein Revolutionär, hier lange vor seiner Zeit, der als eine Art Conférencier und Hofnarr Evita auf ihrer Himmelsleiter begleitet und ihr Tun dabei zynisch kommentiert.
Luxus als Opfer
Die London-Truppe trumpft mit umfangreichem Personal auf, was sich vor allem tänzerisch bemerkbar macht. So viel Beinarbeit wie Choreograph Bill Deamer hier anbietet, ist in herkömmlichen Stadttheater-Inszenierungen kaum zu sehen. So präzise einstudiert, elektrisiert bereits der erste Tanz mit der jungen Eva in ihrer Provinz-Bar.
Von Anfang an nährt das Libretto Zweifel an der Redlichkeit Evitas, lässt sie auf dem Höhepunkt ihrer Popularität sogar den ausgiebig ge-nossenen Luxus als Opfer an die Erwartungshaltung ihres Volkes betrachten. So etwas hilft verstehen, wie diese Frau dachte und was wohl auch ihre Faszination ausmachte.
Bis 16. Januar im Colosseum Theater Essen. Tickethotline: 0180-5152530.