Berlin. In der Folge „Verblendung“ wird Bootz als Geisel genommen. Und Lannert muss die Geiselnehmer beschwichtigen. Das ist Nervenkitzel pur.

  • Am 19. Januar läuft der 34. Fall der Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz
  • Diesmal geht es um eine Geiselnahme mit tödlichen Folgen
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Es geht gleich zur Sache im neuen Stuttgarter „Tatort“. Keine Einleitung. Kein langes Lavieren um den heißen Brei. Schon im ersten Bild ist eine Pistole auf Kommissar Sebastian Bootz (Felix Klare) gerichtet, sein Kollege Thorsten Lannert (Richy Müller) fleht noch, von ferne am Telefon, um zeitlichen Aufschub. Aber nein, die Waffenträgerin kennt kein Pardon. Und schießt. Ein Schock, gleich nach der „Tagesschau“. Verabschiedet sich da schon wieder ein „Tatort“-Kommissar auf brutalstmögliche Art? Ohne dass der Zuschauer darauf vorbereitet wäre, wie, unvergessen, bei Anna Schudt im Dortmunder „Tatort“?

Eine Filmpremiere nimmt einen schrecklichen Verlauf

Das wird erst mal nicht aufgeklärt. Weil die Uhr danach um neun Stunden zurückgedreht und die Folge „Verblendung“ jetzt chronologisch erzählt wird. In einem Stuttgarter Kino hat eine Filmdokumentation Premiere: „Wer wir sind. Die Stunde Null unserer Demokratie“. Dazu sind Persönlichkeiten der Stadt eingeladen, darunter der Polizeipräsident und ein Vertreter der Landesregierung. Auch Lannert hat eine Einladung erhalten. Aber er hat schon ein Date an diesem Abend.

Und überredet seinen Kollegen, statt seiner hinzugehen: „Du bist einfach besser bei so offiziellen Terminen. Du kannst besser reden.“ Also wirft sich der Kollege in Schale. Die Filmvorführung wird jedoch schon nach kurzer Zeit abgebrochen. Weil ein Mann und eine Frau schwerbewaffnet den Saal stürmen. Und die Premierengäste als Geiseln nehmen. Um im Gegenzug Gefangene aus dem berüchtigten Stammheim-Gefängnis frei zu pressen. Der Polizeipräsident wird gleich erschossen, Lannert kann aber auch den männlichen Eindringling verletzen. Weshalb sich die Terroristin nun ihn ins Visier nimmt.

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Tatort: Verblendung
Kommissar Lannert (Richy Müller) muss vom Krisenstab aus mit den Geiselnehmern verhandeln. © SWR/Benoît Linder | Ard

Kein typischer Sonntagabendkrimi also. Ein „Tatort“ im permanenten Ausnahmezustand. In dem das Ermittlerduo mal nicht gemeinsam ermittelt. Der eine muss im Saal die Terroristen beschwichtigen, und der andere, der sein Date abbrechen, im Krisenstab die Geiselnehmer hinhalten und gleichzeitig irgendwelche Informationen über sie herausfinden muss. Der einzige, gemeinsame Draht ist nur das Mobiltelefon der Geiselnehmerin.

Ein Zwei-Fronten-Thriller im Split-Screen-Format

Für diesen Zwei-Fronten-Thriller wählt Regisseur Rudi Gaul das in den 60er-Jahren sehr beliebte, aber längst aus der Mode gekommene Splitscreen-Verfahren, um den Anrufer und den Angerufenen gleichzeitig ins geteilte Bild zu rücken. Einst ein Mittel des Kinos gegen die Fernsehkonkurrenz, weil solche Cinemascopebilder bei der TV-Ausstrahlung nicht funktioniert haben. Aber längst haben ja auch Fernsehmonitore Breitwandformat. Und selten wurde der Thrill von einst so gelungen genutzt wie hier.

Der elegante Bootz ist bald raus aus seinem schnieken Jackett, und aus seinem Hemd, mit dem er den schwerverletzten Täter notdürftig verarztet. Und schwitzt im Unterhemd um sein Leben. Lannert wiederum quälen im Büro Schuldgefühle, weil er ja im Saal hätte sitzen sollen. Und das, zeigt sich, war kein Zufall: Das haben die Geiselnehmer eingefädelt. Denn die Tat ist ein gezielter Vergeltungsakt. Weil der Staat, davon sind die Täter überzeugt, Gefangene in der Haft gezielt umbringen lassen. Was dann als Unfall deklariert wird.

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Die Folge ist purer Nervenkitzel. Hier die zunehmende Panik unter den Geiseln, die selbst abstimmen sollen, wer von ihnen als Nächster sterben muss, wenn der Ministerpräsident nicht öffentlich eingesteht, dass die Tode der Häftlinge staatlich angeordnet sind. Da der Krisenstab, der vermitteln will, auch wenn der Ministerpräsident alles abblockt. Wenn Lannert dann auch noch in seinem Sportwagen ins Gefängnis rast, um vermeintliche staatliche Todeskandidaten zu verhören, wirkt das Ganze sehr konstruiert. Und etwas an den Haaren herbeigezogen. Könnte sich ein Landeschef wirklich erlauben, sich so lange nicht zu verhalten?

Ein düsteres Bild über die Deutschen und ihren Zusammenhalt

Aber die Folge ist viel zu spannend, um über sowas nachzudenken. Die Einwände kommen erst hinterher. Denn es geht hier tatsächlich um das, wovon auch der angekündigte Dokumentarfilm handelt: von den Grundfesten der Demokratie. Die derzeit von absurden Verschwörungstheorien eines Deep State ausgehöhlt werden. Und irgendjemand, so zeigt diese Folge, glaubt immer an solche Verschwörungen im Netz.

Auch wie es um den Zusammenhalt der Bürgerinnen und Bürger bestellt ist, wird hier pars pro toto vorgeführt: Wenn die Geiseln i abstimmen sollen, wer das nächste Opfer sein soll, sind nicht wenige bereit sind, einen anderen zu opfern, um selbst noch eine Schonfrist zu erhalten. Und wessen Leben ist eigentlich wichtiger? Bootz muss bald auch zwischen seinen Mitgeiseln verhandeln. Und jene demokratischen Werte verteidigen, die an diesem Abend eigentlich zelebriert werden sollten. So kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl malt dieser Krimi da ein sehr düsteres Bild über die Deutschen und ihren Zusammenhalt.

„Tatort: Verblendung“: Sonntag, 19. Januar, 20.15 Uhr