Essen. Ein Mai ohne Brunetti, das Debüt von Ernie und Bert, ein Virus-Thriller von Hendrik Streeck, die Jugend von Bill Gates und „K-Healing“.

Die Zeiten, in denen die deutschsprachigen Verlage ihre gesamte Produktion entweder zur Frühjahrsmesse in Leipzig oder zum Oktoberfest der Buchbranche in Frankfurt auf den Markt brachten, sind passé. Längst ist der Büchermarkt zu einem Ganzjahres-Roulette geworden, in dem es einen Volltreffer wie Elke Heidenreichs „Altern“ braucht, um den Rest eines Verlagsprogramms querzufinanzieren. Aber nach wie vor schwillt der Strom der Titel im Frühjahr deutlich an, also fischen wir mal die auffälligsten Exemplare heraus.

Ende Februar gilt‘s doppelt für Hendrik Streeck: Erst entscheidet sich, ob er für die CDU das Bonner Bundestagsmandat erringt, und dann kommt auch noch sein Viren-Thriller „Das Institut“ heraus. Man kann nicht unbedingt behaupten, dass der Mann die Öffentlichkeit scheut.
Ende Februar gilt‘s doppelt für Hendrik Streeck: Erst entscheidet sich, ob er für die CDU das Bonner Bundestagsmandat erringt, und dann kommt auch noch sein Viren-Thriller „Das Institut“ heraus. Man kann nicht unbedingt behaupten, dass der Mann die Öffentlichkeit scheut. © dpa | Thomas Banneyer

Der Frühling beginnt bereits Ende Februar, wenn sich herausstellen wird, ob Hendrik Streeck die Konversion vom Talkshow-Möbel zum Thriller-Autor gelungen ist: „Das Institut“ spielt in der Virologen-Szene und handelt von einem Virus als Waffe. Wir werde in dem Buch aber wahrscheinlich genauso danach forschen, ob sich Romane als Waffe gegen wissenschaftliche Konkurrenten eignen, die gar nicht unbedingt Christian Drosten heißen müssen (Piper, 27. Februar). Selbstverständlich nur ein Zufall, dass im selben Verlag am selben Tag „Hieb und Stich“ erscheint, das neue Buch von Margaret Atwood; aber keine Sorge, darin geht es nur um die Rache drei älterer Damen an einer bösartigen Kritiker-Bande.

Hat in dieser Saison seit langem zum ersten Mal keinen Cormmissario Brunetti geschrieben: Donna Leon bei der Lit.Ruhr im Oktober 2024.
Hat in dieser Saison seit langem zum ersten Mal keinen Cormmissario Brunetti geschrieben: Donna Leon bei der Lit.Ruhr im Oktober 2024. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Mal sehen, ob der Debütant Streeck wohl Donna Leon und ihren Commissario ersetzen kann: Im Mai erscheint erstmals seit vielen Jahren kein neuer Brunetti, sondern ein „Backstage“-Buch, in dem die Wahl-Schweizerin von den Typen erzählt, die sie anregen – wozu interessanter Weise auch Frank Zappa und eine „tollkühne Sex-Arbeiterin“ zählen (Diogenes, 21. Mai)

Die Jugend von Bill Gates und „Wut und Liebe“ von Martin Suter

Bei Bill Gates‘ Autobiografie „Source Code“ (es ist allerdings nur der erste Band, Untertitel: „Meine Anfänge“) staunt man vielleicht darüber, dass die rund 400 Seiten von gleich fünf Menschen übersetzt wurde; niemand würde sich doch darüber wundern, wenn hier KI im Spiel wäre (Piper, 4. Februar).

Martin Suter veröffentlicht nach dem Band „Alle sind so ernst geworden“, den er gemeinsam mit Benjamin von Stuckrad-Barre produziert hat, wieder einen Roman: „Wut und Liebe“.
Martin Suter veröffentlicht nach dem Band „Alle sind so ernst geworden“, den er gemeinsam mit Benjamin von Stuckrad-Barre produziert hat, wieder einen Roman: „Wut und Liebe“. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Der neue Martin Suter „Wut und Liebe“ kommt ausgerechnet am Welttag des Buches heraus, wenn in Katalonien der heilige Georg gefeiert wird: Da bekommen traditionell Frauen eine Rose geschenkt und Männer ein Buch. Inzwischen gibt es aber auch Rosen für Männer und Bücher für Frauen. Der neue Suter klingt ein bisschen so, als sei er eines davon: Eine junge Dame trennt sich von einem Typen mit zu wenig Geld. Der lässt sich daraufhin auf einen zweifelhaften Deal mit einer älteren Dame ein, der ihm viel Geld bringt... (Diogenes).

Neue Romane von Stephen King („Kein Zurück“) und John Grisham („Die Legende“)

Aus den USA kommen neue Romane von Stephen King („Kein Zurück“ über eine angekündigte Mordserie, Heyne, 11. Juni) und der Fabrik von John Grisham („Die Legende“, Heyne, 26. März). Der Norweger Karl Ove Knausgård setzt mit der „Schule der Nacht" seine dunkel raunende Morgenstern-Serie fort (Luchterhand, 26. März). Paul Maar hat eine Novelle rund um eine Liebe geschrieben, die in die Psychiatrie führt („Lorna“, S. Fischer; 28. Mai) und Nobelpreisträgerin Annie Ernaux beschreibt das verzweifelte Verdämmern ihrer alzheimerkranken Mutter in dem Roman „Ich komme nicht aus der Dunkelheit raus“ (Suhrkamp, 14. April).

Neues von Yasmina Reza und Ralf Rothmann

Die britische Autorin und Schreib-Professorin Bernadine Evaristo kehrt in „Blondes Herz“ die Geschichte des Rassismus satirisch um und schickt eine junge weiße Frau als Sklavin nach „Aphrika“, wo sie auf Zuckerrohrplantagen schuften muss und sich durchzukämpfen lernt (Tropen, 17. Mai). Es gibt allerdings auch etwas Weibliches aus unserer Gegend: Die Kollegin Dorothee Krings von der Konkurrenz in Düsseldorf hat einen Roman über zwei Frauen geschrieben, der sich um den Streik in der Gerresheimer Glashütte von 1901 dreht: „Tage aus Glas“ (HarperCollins, 25. März). Und auch der tapfere Roberto Saviano wendet sich den Frauen zu: „Treue“ handelt von den Frauen in der Mafia (Hanser, 18. März).

Ralf Rothmann bringt nach drei Romanen und seiner kunstvoll verzettelten Notizensammlung „Theorie des Regens“ einen Band mit neun Erzählungen heraus: „Museum der Einsamkeit“.
Ralf Rothmann bringt nach drei Romanen und seiner kunstvoll verzettelten Notizensammlung „Theorie des Regens“ einen Band mit neun Erzählungen heraus: „Museum der Einsamkeit“. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Yasmina Reza entdeckt in ihren Gerichtsreportagen „Die Rückseite des Lebens“ (Hanser, 18. März) und schreibt über Kippmomente der Existenz, Ralf Rothmann veröffentlicht nach drei Romanen in Folge nun neue Erzählungen unter dem Titel „Museum der Einsamkeit“ (Suhrkamp, 17. Mai).

Der Peruaner Sergio Bambaren scheint hingegen nicht gerade unter einer Flut von Einfällen zu leiden und setzt seinen immerhin schon fast drei Jahrzehnte alten Sensations-Welterfolg „Der träumende Delphin“ fort mit dem Titel „Der träumende Delphin und die Stimme des Ozeans“ (Piper, 30. Mai).

Alte US-Sünden in Grönland und neue Gefahren in der Ostsee

Die Nase der Saison hat allerdings der österreichische Breitband-Autor Franzobel bewiesen, der von Dada und Satire mehr und mehr zum Historischen Roman („Die Eroberung Amerikas“, „Das Floß der Medusa“) umschwenkt: „Hundert Worte für Schnee“ (Zsolnay, 18. Februar) ist ein Grönland-Roman, der davon erzählt, dass Ausbeutung und Vernichtung der Grönländer durch US-Amerikaner schon Ende des 19. Jahrhunderts in Blüte standen.

Passend dazu deckt der Brite Paul Richardson „Mythen der Geografie“ auf. Zu den „acht Irrtümern über die Welt, in der wir leben“, zählt er: Europa sei der Mittelpunkt der Welt, Mauern könnten Migration aufhalten und Russland sei dazu bestimmt, seine Nachbarn zu bedrohen. Und auch der Berliner „Times“-Korrespondent Oliver Moody kommt mit seiner „Konfliktzone Ostsee“, in der über „die Zukunft Europas“ entschieden werde, gerade zur rechten Zeit - mal sehen, ob der Klett-Cotta-Verlag wirklich bis zum 17. Mai mit der Veröffentlichung wartet.

Seit über einem Jahrzehnt schon hat der Krimi den Historischen Roman als Leit-Genre und Dukatenesel der Buchbranche abgelöst. Ein Titel wie „Der letzte Mord am Ende der Welt“ von Stuart Turton (Tropen, 15. Februar) deutet darauf hin, dass nach all den Venedig-, Bretagne- und Mallorca-Krimis die weißen Flecken auf der Landkarte des literarischen Verbrechens allmählich an ein Ende kommen könnte.

Ronald Reng über die Herren Daimler und Benz, Ernie und Bert über Freundschaft

Tja, und im Gefolge der südkoreanischen Nobelpreisträgerin Han Kang kommt jetzt, nach K-Pop und K-Food das literarische Genre „K-Healing“ (K-Heilung), das aus humorvoller, einfühlsamer Ermutigung, Gemeinschaft und „dem kleinen und großen Glück“ besteht, so die Werbung des Verlags Hanserblau, die es auch gleich zum „Trend“ erklärt. Mal sehen, ob sich die Menschen eher einen Titel wie „Wenn es Nacht wird in Frau Yeoms kleinem Laden“ merken können oder den Namen des Autors Kim Ho-yeon.

Autor Ronald Reng in seinem natürlichen Habitat: am Spielfeldrand  des Volksparkstadions in Hamburg. Nun hat er einen Roman über die Herren Daimler und Benz und die Frauen dazwischen geschrieben.
Autor Ronald Reng in seinem natürlichen Habitat: am Spielfeldrand des Volksparkstadions in Hamburg. Nun hat er einen Roman über die Herren Daimler und Benz und die Frauen dazwischen geschrieben. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Früher sagte man immer, der kürzeste Titel ist der beste. Aber inzwischen geht der Trend in eine andere Richtung, davon zeugt etwa Ronald Rengs Romantitel „Er kenne Herrn Benz nicht, sagte Herr Daimler“. Der exzellente Sportjournalist wechselt das Genre und schreibt über die Konkurrenz der beiden Automobil-Erfinder und deren Überwindung durch zwei lebenslustige Frauen. Wobei „Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ (Roman von Milica Vučković, Zsolnay, 18. März) eher keine Rolle gespielt haben dürfte.

Anfang 2023 durfte das bekannteste WG-Paar der Welt zu seinem 50. Geburtstag gemeinsam mit Caren Miosga, und ihrem „Sesamstraßen“-Kumpel Grobi die „Tagesthemen“ moderieren. Jetzt haben die beiden einen Freundschafts-Ratgeber geschrieben.
Anfang 2023 durfte das bekannteste WG-Paar der Welt zu seinem 50. Geburtstag gemeinsam mit Caren Miosga, und ihrem „Sesamstraßen“-Kumpel Grobi die „Tagesthemen“ moderieren. Jetzt haben die beiden einen Freundschafts-Ratgeber geschrieben. © picture alliance/dpa/NDR | picture alliance/dpa/NDR

Wo das Positive bleibt? Da freuen wir uns auf das Debüt eines Autoren-Paars, das wir bisher nur als die seltsamste Wohngemeinschaft westlich des Urals kannten und das sein Lebtag im Fernseher eingesperrt zu sein schien: Ernie und Bert haben einen „Ratgeber für beste Freunde“ geschrieben! Und wissen Sie, wo der erscheint? Ganz in Gelb im Reclam-Verlag (. Das dürfte also künftig mit Sicherheit ein Klassiker werden...

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