Essen. „Ihr wollt es dunkler“, verspricht Bestseller-Autor Stephen King in seinem Buch. Stimmt nicht. Wir sagen, warum es dennoch gut ist.

Nicht auszuschließen, dass wir der Fangemeinde auf die Füße treten, die Stephen King schätzt wegen seiner Außerirdischen, wegen bösartiger Autos, die „Christine“ heißen, wegen Vampiren in der Provinz und Monstern im Kuscheltiergewand. Und doch sind es solche Sätze, die uns weit über den Thrill hinaus beglücken: „Es war die Generation ,Frauen kochen, Männer essen‘“. Da wirft einer mit liebevoller Bosheit in acht knacktrockenen Worten das Amerika der 1950er auf den Skizzenblock, dass jede Silbe mehr eine zu viel wäre.

Stephen Kings „Ihr wollt es dunkler“ jetzt im Buchhandel

Stephen King meldet sich: nicht zurück, eher wieder mal. Aufzuhören mit 76 und geschätzten 450 Millionen verkauften Büchern? Das kommt einfach nicht in Frage. Zwölf neue Kurzgeschichten (was nicht ganz stimmt) verspricht die diese Woche erschienene Sammlung „Ihr wollt es dunkler“ (was noch weniger stimmt, denn sie sind keine Steigerung an Horror). Das ändert gar nichts daran, dass sie nach einigen Durststrecken der jüngeren Zeit – King fand einfach nicht zu seiner besten Form – ein Füllhorn glänzender Stories ausschüttet.

Rostige Wassertürme, warmherzige Nachbarn und gleich neben dir auf der netten Parkbank: ein durchgeknallter Schlagetot. Willkommen im Kosmos King. Unheimlich ist er ja, weil niemand seiner Helden (oft kleine Leute, mit denen man zu gern im abgewirtschafteten Diner einen Cheeseburger vertilgen würde) nach Abweichung strebt. Alles ist ganz normal, die kaputte Ehe, Opas Mundgeruch, die alte Rostlaube, die Nachbarhexe im Trailerpark. Aber da stehst du halt im Wald, rettest einer unbekannten Frau das Leben und dann ist die gar nicht von hier, also von diesem Planeten. Du hältst auf einer dieser gähnend langweiligen Landstraße aus Jux am Tisch eines fragwürdigen Typen, der einfach bloß „Der Antwortmann“ heißt, und dann, verdammt, weiß er alles von dir – und das macht natürlich was mit deinem Leben. Da siehst du als braver Schulhausmeister im Traum ein geschändetes Mädchen, das ein Irrer hinter einer vergessenen Tankstelle verscharrt hat, fährst anderntags hin. Und alles stimmt!

In Kings Kurzgeschichten steckt ein großer neuer Roman

Der letztgenannte Plot ist der großartigste Wurf dieses Bandes, in dem nichts dunkler, aber vieles einfach richtig gut ist. Und er ist keine Kurzgeschichte, sondern ein stattlicher 220-Seiten-Roman. Nicht die Gabe des wahr gewordenen Albtraums gibt dieser saftigen King-Story ständig die Sporen. Nein, es ist jener wahnsinnige Polizist, der in „Danny Coughlins böser Traum“ mit einer perversen Passion ein Opfer zum Täter kürt.

„Ihr wollt es dunkler“, ausgerechnet der Titel seins neuen Wurfs ist nicht von ihm. Dass er sich eines späten Songs von Leonard Cohen bedient hat, räumt Bestseller-Autor Stephen King im Nachwort ein.
„Ihr wollt es dunkler“, ausgerechnet der Titel seins neuen Wurfs ist nicht von ihm. Dass er sich eines späten Songs von Leonard Cohen bedient hat, räumt Bestseller-Autor Stephen King im Nachwort ein. © Heyne | Heyne

Wenn man Unentrinnbarkeit Entertainment nennen kann, zeigt sich King einmal mehr als Meister in dieser Disziplin. Die Welt rundum ist in der Gegenwart angekommen, Joe Biden und Corona inklusive. Der garstige Humor, mit dem der Mann aus Maine den Alltag unters Fallbeil legt, hat nichts an Charme eingebüßt – so wenig wie die Tatsache, dass King seinen Typen zuverlässig in den Mund legt, was ihm 2024 mächtig auf die Nerven geht: „Ich gehöre nicht zu der Generation, die das Haus nicht ohne Smartphone verlässt, als handelte es sich um Unterwäsche.“

Stephen King: Ihr wollt es dunkler. Heyne, 735 Seiten, 28€