Duisburg. Auf der Suche nach den „Sounds Of Ruhrgebiet“ sprach Zepp Oberpichler mit zehn Musikern – und suchte lange nach einer Szene.
Gibt es eigentlich so etwas wie eine richtige Musikszene im Ruhrgebiet? Das ist eine der Fragen, die sich wie ein roter Faden durch Zepp Oberpichlers Buch „Sounds Of Ruhrgebiet“ ziehen. Er sprach dazu mit Stefan Stoppok, Peter Bursch von Bröselmaschine und Stefan Kleinkrieg von Extrabreit, insgesamt mit zehn Musikern, die es eigentlich wissen sollten. Georg Howahl wollte von Zepp Oberpichler wissen, was der als Autor und Musiker (Jimmy Keith & His Shocky Horrors) bekannte Allrounder durch seine Interviews erfahren hat – und wie er selbst Besitzer des Plattenladens „33 1/3“ in Duisburg wurde.
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Auf der Suche nach den Sounds des Ruhrgebiets: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass man dem nachspüren sollte?
Zepp Oberpichler: Das fing eigentlich mit dem Plattenladen „33 1/3“ an. Ich bin schon als Schüler regelmäßig mit dem Fahrrad hingefahren und habe dort Platten gekauft. Und irgendwann vor ein paar Jahren hörte ich den Besitzer Mike zu einem Kunden sagen: „Ich weiß gar nicht, ob ich dann noch den Laden mache.“ Ich habe wie aus der Pistole geschossen gesagt: „Mike, sag Bescheid, dann mache ich weiter.“ Dann ging es über zwei, drei Jahre so: Immer, wenn ich in den Laden kam, habe ich anstelle einer Begrüßung, gesagt: „Wann hörst du auf?“ Und er hat das so abgetan. Aber dann im Sommer 2020, als wir dachten, dass Corona Geschichte gewesen wäre, sagte Mike zu mir: „Jetzt würde ich doch ganz gerne mal langsam in Ruhestand gehen.“ Ab dem 1. Januar 2021 gehörte der Laden dann mir. Und dann wurde direkt der große Lockdown verkündet. Das Geschäft war monatelang geschlossen, ich hatte die Kosten am Hals – und in dieser Zeit habe ich Profile bei Facebook und Instagram gemacht – und ich besprach dort „Oberpichlers Platte der Woche“
Aber warum ist daraus dann kein Buch mit Plattenbesprechungen geworden?
Es war mir zu doof, einfach nur die Platten der Woche untereinander zu klatschen. Da habe ich mir halt überlegt, dass ich lieber so eine Interview-Geschichte machen würde.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Interviewpartner ausgewählt?
Also ich hatte schon einige Platten besprochen, bevor die Idee zu dem Buch überhaupt kam. Und hab dann einfach so geguckt: Was könnte denn gehen? Und ich habe gesehen: Über Extrabreit hast du was gemacht, über Herne 3 und Peter Bursch mit seiner Bröselmaschine. Dann dachte ich aber auch: Mit wem würde ich gerne was machen? So kam dann zum Beispiel Tommy Finke dazu.
Ein unterschätzter Musiker, aber das sind ja die meisten in Ihrem Buch. Selbst Stoppok sollte eigentlich ein größeres Publikum haben…
Ja, aber Stoppok ist der Einzige, der wirklich durchgestartet ist. Ich finde, dass das Ruhrgebiet sich immer unter Wert verkauft. Und das ist nur traurig.
Gab‘s einen der Gesprächspartner, der Sie besonders beeindruckt hat?
Grundsätzlich fand ich jedes Interview toll. Tief beeindruckt hat mich das Gespräch mit der Christiane Schaefer-Winkelmann. Ich kannte eher ihren Mann, Adolf Winkelmann. Aber sie hat 1981 beim WDR den Film „No Future oder Kein Bock auf Illusionen. Punks in Duisburg“ gemacht. Ich habe das damals bei der Erstausstrahlung gesehen, nach der „Sendung mit der Maus“ und vorm Internationalen Frühschoppen. Ich war 14. Und habe tatsächlich eine Szene aus dem Film live mitbekommen, wo dieses Konzert der Feuerwehrkapelle vor dem alten Karstadt gewesen ist – und die Punks waren dort. Das fand ich faszinierend und auch im Fernsehen hochspannend. Dann, mehr als 40 Jahre später, konnte ich mit der Regisseurin des Films sprechen. Wir haben insgesamt fast drei Stunden geredet. Aber emotional mitgenommen hat mich auch das Gespräch mit Stefan Josefus, dem Trommler der Rockband Franz K.
Weshalb?
Als er von seinem Bruder gesprochen hat, Peter Josefus, der 1997 gestorben ist. Der hat den Bass gespielt und gesungen, da wurde das Gespräch rührend. Da sitzt dir ein Mann von über 70 gegenüber und du siehst, wie er in alten Erinnerungen kramt und ihm fast die Tränen kommen. Er ist dann mit mir in sein Büro gegangen, da stand mitten im Raum der Bass von seinem Bruder, der ist auch auf der Liveplatte dick auf dem Cover dick drauf. Dann sagte er zu mir: Ja, das ist er. Da brauchten wir gar nichts mehr zu sagen. Das war so eine Situation, die einem fast so ein bisschen den Hals zugeschnürt hat.
Es gibt so viele gute Musiker in der Region, aber wenig Szene, wie Sie schreiben. Was könnte eine Erklärung dafür sein?
Im Ruhrgebiet ist alles, was irgendwie mit Kunst und Kreativität zu tun hat, verpönt. Das ist hier immer nebensächlich behandelt worden. Eine eigene Musikszene hat sich nie wirklich entwickelt. Selbst Grönemeyer: Als der groß geworden ist, war er ja weg aus dem Ruhrgebiet. Und letztlich gab es auch keinen Support, von keiner Stelle, höchstens ein paar halb bemühte Versuche in den 90ern. Köln ist für mich das komplette Gegenteil vom Ruhrgebiet.
Inwieweit ist Köln da anders?
Was die Unterstützung, aber auch das Eigenlob der Kölner Künstler angeht, sind die uns ja meilenweit voraus. Und sie haben dadurch eine Aufmerksamkeit geschaffen, die es im Ruhrgebiet nie gegeben hat und die es wahrscheinlich in der Form auch nie geben wird. Das ist ein ganz anderes Selbstverständnis: Da macht irgendeine kölsche Band ein Lied über die Stadt mit dem Dom drin, das wird sofort ein lokaler Hit. Es wird total abgefeiert. Bei uns hingegen war man eher peinlich berührt, wenn im Duisburger Finkenkrug mal eine Platte von Bröselmaschine gelaufen ist. Und ich finde es wirklich schade, dass das hier so ist. Aber es ist so.
Sounds Of Ruhrgebiet. Zepp Oberpichler im Gespräch mit Peter Bursch, Crocker, Tommy Finke, Stefan Josefus, Stefan Kleinkrieg, August Koslowski, Christiane Schaefer-Winkelmann, Wulf Schneider, Stefan Stoppok, Willi Wucher. Verlag Henselowsky Boschmann, 208 S., 19,80 €.