Essen. Eine Welt-Pianistin ist Residenzkünstlerin der Essener Philharmonie. Wir verlosen Karten für einen großen Abend mit Anna Vinnitskaya.
Stell dir vor, du triffst eine Starpianistin und dein Aufnahmegerät tut‘s nicht. Heiliger Bimbam! „Das ist aber alt“, sagt Anna Vinnitskaya. Lars von der Gönna ruckelt am Batteriefach und – läuft! Eigentlich eine nette Panne, um mit Essens neuer Residenzkünstlerin über Technik zu sprechen
So alt ist das auch nicht, Frau Vinnitskaya. Als Jahrgang 1983 kam Ihre Spieluhrmelodie doch auch noch nicht aus dem I-Phone, oder?!
(lacht) Da haben Sie recht! Und ich bin froh darüber, ich hatte mein erstes Handy erst, als ich frisch in Deutschland war. Knapp 19. In Russland habe ich noch die ganze Phase davor erlebt. Erst kein Fernsehen, dann schwarzweiß. Wir hatten ein Telefon, wir gingen mit Rubel zur Telefonzelle. Oder wählten eine Vermittlung, um die Oma anzurufen – und irgendeine fremde Stimme sagte plötzlich: „Sie haben noch 30 Sekunden!!!“ Puuh, war das aufregend! Nennen Sie es nostalgisch, aber ich verbinde viele gute Gefühle, was die Zeit vor dem Handy betrifft. Ich habe noch eine ganze Truhe voll mit den Briefen meiner Freundinnen. Die hüte ich wie einen Schatz.
Warum ist das so ein Schatz für Sie?
Ich empfinde vieles im digitalen Zeitalter als schnell und vor allem unpersönlich. Dass ich die Zeit davor noch erlebt habe, macht mich fast ein bisschen stolz. Klar hatte ich vieles nicht, was heute jeder hat. Aber ich hatte eben ganz etwas anderes.

Glauben Sie, dass Ihre Kunst eines Tages von KI & Co übernommen wird?
Ich hoffe, sehr, dass nicht eines Tages digitale Klaviere antreten, um Pianisten zu ersetzen. Ich hoffe, die Menschen bleiben bei Verstand und lassen sich und das, was sie menschlich macht, nicht komplett durch Technik ersetzen. Jedenfalls hoffentlich, solange ich lebe. Aber natürlich spüren wir schon jetzt, wie diese Welt uns bestimmt. Die Aufmerksamkeitsspanne in den Konzerten. Zeit ohne Handy! Und nur zuhören! Das ist für manchen inzwischen schon eine Prüfung. Die Jungen halten es kaum aus. Aber umso mehr sollten wir klassische Konzerte schätzen. Wahrscheinlich ist es inzwischen am Tag die einzige Zeit-Insel, an dem sie ihr Handy mal ausschalten, nicht erreichbar sind. Überhaupt liebe ich den Konzertsaal als Ort der Freiheit, keine To-do-Listen, einfach nur in den Fluss kommen mit der Musik. Ich glaube, das ist wertvoller denn je zuvor.
Sie haben selbst Kinder. Ist es schwierig, als Mutter mit den Götzen der Technik zu konkurrieren?
Aber ja. Selbst wenn ich mich mit ihnen unterhalte, können sie ihren Blick nicht vom Handy wenden. Der Großteil unserer Konflikte daheim kommt von diesen digitalen Dingen.
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Nun haben wir noch gar nicht über Ihre Kunst gesprochen. Kunst, die auch Arbeit ist. Wer einen Rachmaninow durch den Konzertsaal donnern lässt...
... Kunst ist auch Leistungssport für mich, ohne das geht es nicht. Das war nicht von Anfang an so. Ich als Kind und üben? Bloß nicht, ich wollte nicht! Und eine Initialzündungsgeschichte von mir, wie viele Kollegen sie von sich erzählen „Ich habe ein klassisches Stück gehört und war hin und weg“ – mit sowas kann ich nicht dienen. Meine Eltern waren Musiker, das war Alltag. Ich wusste nicht, dass man auch ohne kann. Aber zum Üben musste ich tatsächlich gezwungen werden.

Und wie ist das Üben heute für Sie?
Das totale Gegenteil! Wenn ich mich heute ans Klavier setze, um zu üben, dann ist das meine beste Zeit, noch besser als beim Konzert. Ich kann kreieren, ich kann mich ausdrücken. Total schön. Das hat angefangen mit 13, 14. Davor habe ich es nur als Druck empfunden.
Sie sind weltweit gefragt, haben eine Professur in Hamburg, es gibt eine Familie. Können Sie überhaupt mal ein Stück spielen, auf das Sie einfach bloß Lust haben, ohne dass es in Berlin oder Zürich auf dem Programm steht?
Tatsächlich hat erst Corona das ermöglicht. Sicher, Corona war furchtbar. Aber ich persönlich habe diese Zeit genossen: zu spielen, was ich wollte. An den Notenschrank zu gehen, wählen zu dürfen.
Corona war klar eine Krisen-Zeit. Gibt es Komponisten, die Ihnen in Krisen besonders gut tun?
Bach! Immer wieder in der ganzen Corona-Zeit, aber auch davor. Bach ist das A und O, eine Art musikalischer Emotion, die einen auf eine ganz andere Ebene bringt. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, den Bach ganz kalt lässt. Er spricht zu allen.
Sie werden weltweit gefeiert. Was empfinden Sie, wenn am Schluss der Beifall braust?
Erstmal ist man erleichtert. Dass man‘s geschafft hat (lacht). Und sonst? Der Applaus, das Publikum: Natürlich ist das schön. Aber ich bin mir gegenüber ziemlich kritisch. Wie es war, das beschäftigt mich. Fehler ärgern mich: glücklich über die eine, unglücklich über die andere Stelle – so sieht es dann in mir aus.

Gibt es also in Ihrem Leben nie das perfekte Konzert?
Doch. Das perfekte Konzert ist: wenn ich nicht denke. Wenn ich loslassen kann. Wenn ich die Musik nicht störe und nur noch das Medium bin. Es laufen lassen, nicht kontrollieren zu müssen. Das ist mein Ideal.
Sie waren einst, mit 25!, die jüngste Professorin an einer deutschen Musikhochschule. Nun bilden Sie lauter Klaviersolisten aus. Wir wissen: Nicht jeder wird den Weltruhm einer Anna Vinnitskaya ernten. Ist das hart zu wissen: Die sind so begabt, aber nicht jeder wird durchkommen, mancher landet bloß an der Musikschule in Osnabrück.
Das macht mir ehrlich gesagt großen Kummer. Ich sehe, wie manche trotz größter Begabung nicht weiterkommen. Das ist eine beklemmende Diskrepanz. Es sind oft besonders beeindruckende Künstlerpersönlichkeiten, die „steckenbleiben“, die diesem Markt nicht gewachsen sind. Und umgekehrt: Die, bei denen ich dachte, das wird nichts, sehe ich plötzlich an ziemlich guten Häusern spielen. Mir tut das für die erste Gruppe so leid. Sie sind eher zerbrechlich, aber dafür haben sie wahrhaftige Künstlerseelen. Es ist tragisch, wenn sie sich nicht durchsetzen können.
Was ist Ihre zentrale Botschaft an den künstlerischen Nachwuchs?
Ich halte mich an meinen Lehrer Koroliov: Du musst Musik machen, nur weil Du ohne Musik nicht sein kannst. Nicht,
Nicht weil Du ganz nach oben willst, nicht weil Du Ruhm willst oder einen großen Namen. Sondern nur aus Not! Weil es nicht anders geht! Weil man muss. Wenn ich bei Studenten diesen gewaltigen Drang sehe, lauter Wettbewerbe zu gewinnen, dann weiß ich: Das wird nichts! Das ist äußerlich. Und: Wenn dann einer diese äußerlichen Ziele nicht erreicht, dann ist sein Absturz umso bitterer. Umgekehrt habe ich Schüler, die wahnsinnig tolle Künstler sind und es nicht geschafft haben. Ich erlebe, die als glücklich, selbst wenn sie heute nur noch für ihre Nachbarn spielen.
Verlosung: Großer Abend mit Robert Schumann
Noch bis Ende der Spielzeit 2024/25 ist die 1983 am Schwarzen Meer in der Region Krasnodar geborene und heute in Hamburg lebende Pianistin Anna Vinnitskaya Residenzkünstlerin der Philharmonie Essen.
Ihre Bandbreite wird sie hier von der Kammermusik bis zum originellen Konzert mit Herbert Grönemeyer zeigen. Ein klassischer Höhepunkt dürfte die Aufführung von Schumanns berühmtem Klavierkonzert am 22. März 2025 sein. Den Orchesterpart übernimmt das berühmte Tonhalle Orchester Zürich unter der Leitung von Paavo Järvi.
Wir verlosen 3 x 2 Freikarten. Wer gewinnen will, wählt bis Samstag, 26. Oktober, die Rufnummer 01378 78 76 18 (0,50 €/Anruf). Die Gewinner werden von uns benachrichtigt..