Es wird wieder in die Tasten gegriffen! Anna Vinnitskaya eröffnete das Klavier-Festival Ruhr, per Stream. Bald soll es live weitergehen
Es ist ebenso erstaunlich wie erfreulich, wie schnell die Kulturlandschaft aus der Schockstarre zu erwachen und an Fahrt zu gewinnen scheint. Das Klavier-Festival Ruhr startet noch etwas bedächtig mit vier gestreamten Konzerten, bevor man ab dem 20. Juni die Pianistinnen und Pianisten der Welt endlich wieder in „analoger“ Leibhaftigkeit erleben darf.
Beim Eröffnungskonzert mit der russischen Pianistin Anna Vinnitskaya auf der geschmackvoll dekorierten Bühne der Essener Philharmonie musste man sich zwar noch mit digitaler Kost begnügen. Dafür konnte man der Musikerin so intensiv auf die schlanken Finger sehen wie sonst nie. Und musikalisch brauchte man angesichts der ausgeprägten Persönlichkeit der Musikerin ohnehin keine Abstriche in Kauf nehmen. Zum vierten Mal war Anna Vinnitskaya zu Gast beim Klavier-Festival.
Und mit Werken von Robert Schumann und Maurice Ravel stellte sie ein Programm zusammen, das ihrem Verständnis besonders gut entgegenkam. Vor allem in Robert Schumanns Liebeserklärungen an Clara schien eine Art Seelenverwandtschaft anzuklingen. Die filigranen Verästelungen in der duftig leicht gesponnenen Arabeske op. 18 erfuhren eine zarte, innerlich bewegte, aber nie verzärtelte Interpretation, in der die Pianistin ihre ausgefeilte Anschlagskultur nuancenreich ausspielen konnte.
Auch der gewaltigen 1. Sonate op. 11 tat Anna Vinnitskaya in keinem Takt kraftstrotzende Gewalt an. Trotz der großen Dimensionen der Sätze und trotz energiegeladen aufgestauter Höhepunkte bewahrte das Werk unter ihren Händen seine lyrische Innigkeit. Die Anreize zu funkelnder Tastenakrobatik in Maurice Ravels „Valses nobles et sentimentales“ lässt Anna Vinnitskaya zwar nicht ungenutzt, doch auch hier überzeugte sie am natürlichsten, wenn es darum ging, die leise Melancholie der Tänze hervorzuheben. Das ist natürlich zu wenig für die katstrophischen Explosionen in Ravels Poème chorégraphique „La Valse“. Hier öffnete sie tatsächlich die Schleusen, wodurch der Kontrast zu den hintergründig dunklen Tönen des Werks nur umso plastischer hervortreten konnte.
Ein poesievoller, sensibler Einstieg in eine hoffentlich von weiteren Lockdowns unbehelligte Festival-Saison. Die nächsten Stream-Konzerte sind abrufbar am 4. Juni mit Lorenzo Soulès, am 11. Juni mit Joseph Moog und am 18. Juni mit Seong-Jin Cho.
Wie gesagt: Wieder vor Publikum zu spielen, wird auch beim Klavierfestival heftig herbeigesehnt. Aktuelle Informationen dazu, auch zu Reservierungsmöglichkeiten vor dem Verkauf, gibt es im Internet unter www.klavierfestival.de