Mülheim. Nur die Hochschule Ruhr West bietet diesen Ingenieur-Studiengang an: In den ersten vier Semestern sind keine Männer dabei

Drei Frauen allein unter 120 Männern – so sah es im zulassungsfreien Studiengang Maschinenbau an der vor 15 Jahren eröffneten Hochschule Ruhr West noch vor sieben Jahren aus. Das Präsidium beschloss daraufhin, ein Experiment zu wagen: ein Maschinenbaustudium ausschließlich für Frauen. 2018 startete der erste Jahrgang in rein weiblicher Besetzung an der HRW in Mülheim an der Ruhr, einem der zwei HRW-Standorte neben Bottrop.

Sechs Jahre später: Katrin Täpper hat das Studium bereits fast abgeschlossen. „Jetzt folgt noch mein Praxissemester bei einer Firma, die sich mit Datenanalyse und Energieoptimierung befasst, danach kommt die Bachelorarbeit.“ Den Master könnte sie an der HRW weiterstudieren. In ihrem Praxissemester wird sie sich vor allem mit Informatik befassen. „Das wollte ich aber nicht als Fach studieren, weil Maschinenbau wesentlich vielseitiger ist.“

Schon in der Schule fand die 24-Jährige Mathematik, Physik und Technik am spannendsten. Ihr Vater arbeitet als Schlosser in einem Maschinenbau-Unternehmen und weckte früh das technische Interesse seiner Kinder. Die jüngere Tochter ist Industriemechanikerin, und Katrin Täpper wird Ingenieurin. „Mit 18 nach dem Abi hatte ich keine Ahnung, was ich beruflich machen will“, erzählt sie. „Aber meine Ausbildung sollte mir auf jeden Fall alle möglichen Türen aufstoßen.“ Diese Chance entdeckte die Abiturientin aus Bottrop-Kirchhellen beim Infotag an der HRW in Mülheim. „Die Labore waren total neu, und das Thema hat mich überzeugt“, blickt Katrin Täpper zurück. „Maschinenbau ist eigentlich angewandte Physik.“

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An einer der jüngsten Hochschulen in NRW mitten im Ruhrgebiet kann frau allerdings auch Maschinenbau zusammen mit Männern studieren. Aber Katrin Täpper entschied sich, die ersten vier Semester in einer kleinen Gruppe von Frauen zu absolvieren: Das bietet in Deutschland einzig und allein die HRW an. Täppers Motiv: „Mit 18 war ich noch viel schüchterner als heute. Ich wollte mich nicht als eine von wenigen Studentinnen unter lauter Jungs mit Stereotypen über Frauen und Technik auseinandersetzen, sondern meine Energie ins Studium stecken“, erklärt Katrin Täpper. In kleinen Teams und entspannter Lernatmosphäre ist ihr das schnell gelungen. Zu den Lehrenden gehören übrigens „alle Geschlechter“, sagt Katrin Täpper lächelnd, „aber die sind alle ganz lieb“.

Von der Schule in Kirchhellen an die Hochschule in Mülheim, das war aufregend. „Zu Beginn waren wir 20 Kommilitoninnen. Ich kannte direkt alle in meinem Jahrgang, konnte mit ihnen über das Studium reden, in die Mensa gehen und mich in unserer WhatsApp-Gruppe mit ihnen austauschen.“ Am Anfang habe sie die Hochschule „ein bisschen groß“ gefunden, aber durch den engen Zusammenhalt der Maschinenbau-Frauen, die entspannte Lernatmosphäre sowie viele gemeinsame fachliche Exkursionen sei das schnell verflogen.

Die Männer kommen im 4. Semester

Von den 20 weiblichen „Erstis“ wechselten ein paar in andere Studiengänge und einige in den gemischten Studiengang, die anderen zogen Maschinenbau mit Frauen durch. Nach vier Semestern hieß es auch für Katrin Täpper, sich unter Männer zu begeben. Denn die zweite Hälfte des Maschinenbaustudiums durchlaufen alle gemeinsam. „Wir Frauen sind gut empfangen worden, die anderen waren sehr aufgeschlossen für uns. Sie wunderten sich nur, dass sie uns vorher noch nie gesehen hatten.“ Die junge Frau ist vollauf zufrieden mit ihrer Studienwahl. Und eine Karriere nach dem Abschluss ist praktisch inbegriffen: Denn der Fachkräftemangel ist groß, zahlreiche Berufswege sind möglich und gut ausgebildete Frauen gerne gesehen. Digitalisierung, Entwicklung, neue Fertigungsverfahren, Konstruktion, Optimierung von Maschinen, Qualitätssicherung von Anlagen, Prototypenbau, Nachhaltigkeit und Industrie 4.0. – die Auswahl an zukunftsträchtigen Fachgebieten ist enorm. Ob als Konstrukteurin, Produktentwicklerin, Produktionsplanerin, technische Kundenbetreuerin, Forscherin oder Projektmanagerin: Alle Türen stehen ihr weit offen, so wie sich Katrin Täpper das nach dem Abitur gewünscht hat. Nach dem Studium „spielen Sie in der Weltwirtschaft eine zentrale Rolle und bauen Kontakte zu bedeutenden Unternehmen in der Region auf“, verspricht die HRW sogar in ihren Studieninfos. „Attraktive“ Verdienstmöglichkeiten, Managementaufgaben und Leitungsfunktionen in der Industrie werden nach weiterer Qualifizierung ebenfalls in Aussicht gestellt. Nix da ölverschmierte Halle….

Viele kommen aus Ingenieurfamilien

Kristina Lampe ist stellvertretende Studiengangsleiterin des Frauenstudiengangs Maschinenbau an der Hochschule Ruhr West und freut sich über die Interview-Anfrage. Die Leiterin Alexandra Dorschu befindet sich in Elternzeit. „Ich bin 30 Jahre alt und habe zwei Kinder, habe Maschinenbau studiert und 2018 mit dem Master of Science für Technisches Produktionsmanagement abgeschlossen“, stellt sich Kristina Lampe vor. „Dafür habe ich mich entschieden, weil ich schon immer gerne analysiert habe und logisches Denken, Mathematik und Chemie mag.“ Bei ihr sei diese Studienwahl damals Zufall gewesen, da ihr jetziger Mann und damaliger Freund ein Jahr vor ihr begonnen hatte, Maschinenbau zu studieren. „Erst dadurch habe ich gesehen, dass genau diese Aspekte im Studium integriert sind, man aber danach deutlich bessere Berufsaussichten hat als nach einem Mathe- oder Physikstudium und sich auch nach Interessenslage spezialisieren kann. Meine Leidenschaft sind Materialanalysen verschiedener Komponenten und Produkte sowie Prozessoptimierung.“

Steiniger Weg durch die Macho-Welt

Kristina Lampe war 2013 eine der wenigen Frauen im Maschinenbau-Erstsemester der HRW. „Da ich bereits in meinen Leistungskursen eine von sehr wenigen Frauen war, zu Hause immer gerne getüftelt habe und meinen jetzigen Mann damals als direkten Sparring-Partner hatte, war das für mich normal. Allerdings haben wir drei Frauen uns im Studium tatsächlich auch oft gemeinsamen (gemischten) Lerngruppen angeschlossen und gegenseitig unterstützt,“ erzählt sie. In der Industrie, gerade in der Produktion, habe sie jedoch einiges an Sprüchen und unangemessenen Verhaltensweisen erleben müssen. „Erst durch das verstärkte Aufzeigen meiner fachlichen Leistungen erlangte ich Akzeptanz“, schildert die Dozentin ihren Weg durch die Macho-Welt.

Zwei Typen von Maschinenbau-Studentinnen gibt es laut Kristina Lampe. Etwa 70 Prozent seien Typ 1: aufgewachsen in einer Familie mit technischen Berufen oder Bekannten in dem Bereich. „Sie erlangen schon erste Kenntnisse und haben ein Netzwerk. Für sie ist Technik kein Neuland, und sie finden es normal, Maschinenbau oder Ähnliches zu studieren.“ Typ 1 entscheide sich in der Regel für den gemischtgeschlechtlichen Studiengang. Typ 2 sei zwar an Mathematik und Naturwissenschaften interessiert, habe aber kein entsprechendes Umfeld und sei unsicher, ob sie sich für ein schwieriges technisches Studium eignen. „Diese jungen Frauen studieren dann eher Mathe, Chemie, Physik oder Biologie.“

Für solche Abiturientinnen sei der „monoedukative“ Frauen-Studiengang an der HRW ideal. Die Abbrecherinnenquote sei übrigens sehr gering.

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