Bochum. Die Bochumer GLS-Bank will in Wolfsburg ein Leuchtturmprojekt für klimaschonendes und soziales Wohnen verwirklichen.

Zwei „Woodscraper“ in Wolfsburg sollen nachhaltiges, bezahlbares und sozial gerechtes Wohnen ermöglichen. Die Bauherrin GLS-Bank und die Architekten sprechen von einem Leuchtturmprojekt mit enormen Herausforderungen an Kreislauffähigkeit und Brandschutz.

Wohnen in Holz ist uralt

Wohnen in Holzbauten ist uralt, etwa in Fachwerkhäusern – aber in einem Hochhaus? Ist das stabil und sicher? Ein Projekt der Bochumer GLS-Bank will es beweisen: Seit Mai 2024 entstehen in Wolfsburg 106 Wohneinheiten in zwei „Wolkenkratzern“ mit zwölf Etagen. Die beiden Gebäude in Holzbauweise wachsen im neuen, nachbarschaftlich orientierten Wohngebiet „Hellwinkel Terrassen“, das etwa 1,5 km vom Stadtzentrum entfernt liegt. Als Initiatoren wirken auch die Berliner Architekten „Partner und Partner“ mit sowie die Berliner Unternehmensgruppe Krebs (UKG), die für nachhaltige Projektentwicklungen steht.

Klimaschutz ganz oben

Klimaschutz soll heute ganz oben stehen beim Wohnungsbau. Und sozial gerecht soll das Leben darin sein. André Meyer leitet den Bereich Nachhaltige Immobilien bei der GLS-Bank. Er erklärt: „Neue Gebäude müssen soziale Vielfalt unterstützen und einen sicheren Lebensraum bieten. Fester Bestandteil unserer Strategie ist daher, dass die Wohnungen in den Woodscrapern nachhaltig und bezahlbar sind.“ Die Bedürfnisse der Umwelt und der Menschen hätten Priorität.

Die Stadt Wolfsburg hat die Baugenehmigung erteilt.
Die Stadt Wolfsburg hat die Baugenehmigung erteilt. © HO | Ho

Bauen mit (Stahl-)Beton ist immer noch üblich, aber für die Klimabilanz ziemlich katastrophal. Und die Menschen brauchen andere, flexiblere Wohnformen. Das Problem ist bekannt: Senioren leben oft allein in viel zu großen und nicht barrierefreien Häusern oder Wohnungen, wachsende Familien quetschen sich in zu kleine Behausungen, Studierende suchen händeringend nach bezahlbaren Bleiben, Personen mit geringem Einkommen und Menschen mit Beeinträchtigungen finden oftmals gar keine Wohnung, die ihren Bedürfnissen entspricht.

Viele barrierefrei

In den 106 Wohneinheiten in Wolfsburg – 102 davon barrierefrei – soll es anders und besser sein. Alle Generationen und Familien werden dort ein Zuhause sowie unkomplizierte Kontaktmöglichkeiten finden. André Meyer kündigt an: „Geplant ist ein anteiliger sozialer Wohnungsbau mit niedrigen Mieten. Im Erdgeschoss entsteht ein Café, auf dem Dach eine Terrasse für alle Bewohnerinnen und Bewohner, der Außenbereich erhält Gemeinschaftsflächen.“ Ökologisch sollen die beiden Hochhäuser wegweisend sein: Über ihren gesamten Lebenszyklus können die Gebäude laut GLS-Bank mehr CO2 binden als emittieren. Möglich macht‘s vor allem die Strategie des zirkulären Bauens: Die Materialien bleiben langfristig in einem Verwendungskreislauf, statt Müll zu produzieren.

Klaus Günter, Geschäftsführer des Architekturbüros Partner und Partner, nennt die Ansprüche: „Wir wollen ein Gebäude, das bei Bedarf einfach umgebaut werden kann und das sich am Ende seiner Lebensdauer in seine einzelnen Elemente zerlegen lässt.“ Diese könnten zum Beispiel zum Bau neuer Gebäude verwendet werden. Ein Gebäude als Materiallager“ – die Idee überzeugt. Dem Klimaschutz dienen werden außerdem begrünte Dächer, Photovoltaik, Geothermie und Wärmerückgewinnung aus Sanitärabluft.

Die Woodscraper sind ein Leuchtturmprojekt für klimaschonendes und soziales Wohnen“, verkündet Christoph Weber von der GLS-Bank, Geschäftsführer der Projektgesellschaft, vollmundig. „Mit ihrem Immobilienprojekt leitet die GLS-Bank den Wandel für zukunftsweisendes Wohnen konkret ein.“ Von einem wichtigen Beitrag für die sozialverträgliche Transformation der Immobilienbranche hin zur Klimaneutralität“, spricht auch Sven Schmittbüttner von UGK. Eine Forschungsgruppe begleitet das innovative Bauvorhaben. Sie wird Erfahrungen und Erkenntnisse zur zirkulären Holzbauweise sammeln, um damit die Nachahmung solcher Projekte zu vereinfachen, besonders was die Demontierbarkeit der verwendeten Baumaterialien angeht.

Im Interview erläutern Christoph Weber von der GLS Bank und Jörg Finkbeiner von „Partner und Partner Architektur“ das Holzbau-Projekt.

Die Wohnungen in den Woodscrapern sollen nachhaltig und bezahlbar sein. Wie gelingt Ihnen das, was heißt bezahlbar, was verstehen Sie unter sozialer Vielfalt?

Christoph Weber: Bezahlbar heißt für uns, dass wir anstreben, im Durchschnitt unter den ortsüblichen Mieten zu liegen. 45 Prozent der Woodscraper-Wohnungen werden im geförderten Wohnungsbau entstehen, 55 Prozent frei vermietet. Die eingesetzten erneuerbaren Energien Geothermie und Photovoltaik tragen zu stabilen Nebenkosten bei; zum Beispiel werden die Kosten für die Wärme auch unter den ortsüblichen Nebenkosten liegen. Damit setzt die GLS Bank eines ihrer Hauptanliegen in der Branche Wohnen um: bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen zu schaffen. Wir richten uns an alle Alters- und Einkommensgruppen und wünschen uns eine Vielzahl an ganz verschiedenen Menschen, eben das Abbild einer bunten Gesellschaft.

Was verstehen Sie unter „gesundem und zugleich nachhaltigem Wohnen“?

Christoph Weber: Gesundes Wohnen beginnt bei den verwendeten Materialien: Gerade im Inneren der Woodscraper kommt der große Vorteil von Holzbau zum Tragen – dort, wo Luftfeuchte durch Kochen, Duschen oder die Bewohner selbst entsteht. Das Naturmaterial „atmet“, es nimmt die Luftfeuchtigkeit auf, um sie allmählich wieder abzugeben, und sorgt damit für eine angenehme Wohnatmosphäre. Deshalb liegen die Holz-Elemente im Inneren auch frei. Die Nachhaltigkeit ergibt sich durch die Langlebigkeit der Baumaterialien und ihre Kreislauffähigkeit.

Welche besonderen Anforderungen stellt diese Art zu bauen?

Jörg Finkbeiner: Wir müssen sehr viele Herausforderungen individuell lösen und können nicht auf etablierte Standards zurückgreifen. Ein Beispiel: Normalerweise hätten wir die Tiefgarage mit wasserundurchlässigem Beton planen müssen, was aber eine viel schlechtere CO2-Bilanz bedeutet hätte. Unsere Lösung ist eine Tiefgarage mit Drainage. Dafür brauchte es Monate intensiver Abstimmung mit den Baubehörden, viel Recherche, Durchhaltevermögen und Mut auf allen Seiten.

Sie sprechen von einem „Leuchtturmprojekt“ – ist es wirklich so einzigartig?

Jörg Finkbeiner: Es geht bei unserem Leuchtturm um die Verbindung der revolutionären Kreislauffähigkeit einer Hochhauskonstruktion und um bezahlbaren Wohnraum für verschiedene Alters- und Einkommensgruppen in solchen Gebäuden. Die Woodscraper verfolgen das Ziel, die Verwendung von nachwachsenden, kreislauffähigen Baustoffen zu maximieren und folglich die Verwendung von nicht erneuerbaren, energieintensiven Baustoffen wie Beton zu minimieren. Und das gelingt uns hier: Wir maximieren den Einsatz des Materials Holz, außer bei den Erschließungskernen, die aus brandschutztechnischen Gründen zwingend nicht brennbar ausgeführt werden müssen und deshalb auch aus Stahlbeton bestehen.

Die kompletten Wohngeschosse werden dann in einer reinen Massivholzkonstruktion ausgeführt, die geschraubt und damit bei einem späteren Rückbau sortenrein und zerstörungsfrei zurückgewonnen werden kann. Weil dieses Vorgehen noch nicht etabliert ist, flankieren wir es mit einem Forschungsprojekt zur optimalen Demontierbarkeit der Konstruktion – um sicher zu gehen, dass nachfolgende Generationen ein Maximum an Bauteile

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