Essen. „Twisters“, „Crossing – Auf der Suche nach Tekla“ und „Juliette im Frühling“: Zwei gelungene Starts und ein dünnes, dämliches Drehbuch.
„Twisters“
Oklahoma ächzt in der aktuellen Tornadosaison unter unter besonders schwerem Sturmaufkommen. Zwei rivalisierende Teams jagen den Windhosen mit unterschiedlichen Zielsetzungen nach. – Auf den ersten Blick findet sich wenig Neues in dieser vorgeblichen Fortsetzung des wegen seiner Trickeffekte hoch gehandelten Blockbusters „Twister“ von 1996. Immer noch bringen gut gelaunte Leute sich wegen eklatanter Missachtung der Gefahren eines Wirbelsturms in Schwierigkeiten und sind entsetzt, wenn es schiefgeht. Immer noch veranstalten sie Volksfeste, Rodeos oder sonst eine Kirmes, obwohl sich am Himmel dunkelste Wolken auftürmen.
Da macht ein Tornado ganze Industriekomplexe dem Erdboden gleich, beißt sich aber an einem SUV-Jeep die Zähne aus. Und alles dient einem Hohelied auf die Solidarität und Bodenständigkeit einer Landbevölkerung, die sich auch nach 200 Jahren von Wirbelstürmen immer noch überrascht zeigt.
Es gibt eine fade Besetzung, in der keiner was zu tun hat und Glen Powell der einzige charismatische Ausreißer nach oben ist. „Minari“-Regisseur Lee Isaac Chung scheitert an einem dünnen, dämlichen Drehbuch. Immerhin taugen die digitalen Sturmeffekte was. Sonst hat sich wenig getan seit 1996. (ues)
„Crossing – Auf der Suche nach Tekla“
Schon der Titel klingt sperrig, aber dahinter verbirgt sich einer der schönsten Filme des Kinojahres: Die pensionierte Lehrerin Lia (Mzia Arabuli) hat ihrer Schwester vor deren Tod ein Versprechen gegeben: Sie soll ihre Tochter Tekla nach Hause holen. Diese, eine Trans-Frau, hat die Enge Georgiens vor Jahren verlassen, um in Istanbul ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gemeinsam mit dem jungen Achi (Lucas Kandava), der vorgibt Tekla zu kennen, macht sich Lia auf die Suche nach ihrer Nichte.
Regie führt Levan Akin, der bereits in seinem Film „Als wir tanzten“ auf die Probleme der queeren Community in Georgien hinwiesen hat. Nun also „Crossing“, der seinem Namen alle Ehre macht. Es geht nicht nur um den Wechsel von Geschlechtern und Identitäten, es geht auch um das Überschreiten von Grenzen und Konventionen und um fünf Menschen, deren Schicksale sich zufällig kreuzen. Noch auf der Überfahrt nach Istanbul verweilt die Kamera auf Evrim (Deniz Dumanlı), die an der Reling der Fähre steht und eine Zigarette raucht: eine türkische Anwältin und Aktivistin für Trans-Rechte. Ebenfalls unterwegs in den Straßen Istanbuls: zwei bettelnde Roma-Kinder. Die Suche nach Tekla wird sie alle zusammenführen.
Es ist eine Leistung, dass „Crossing“ bei all dem Anspruch nicht konstruiert wirkt, sondern wie mit leichter Hand dahinerzählt. Alles verwebt sich einfach so zu einer kraftvollen melancholischen Geschichte, vorangetrieben durch drei sehenswerte Hauptdarsteller, allen voran Mzia Arabuli als schweigsame Lia. Die Handlung führt dabei in die LGBTQ-Szene um Clubs, NGOs und käuflichen Sex und zeigt ein ganz anderes Istanbul-Bild, als man es aus Reiseprospekten kennt. Oscar für die große alte Dame am Bosporus. (kui)
„Juliette im Frühling“
Juliette arbeitet als Illustratorin von Kinderbüchern, ist beruflich und privat ungebunden, fühlt sich angegriffen durch depressive Schübe und Schlafprobleme. Ansonsten ist sie das gewohnt charmante Sonnenscheinchen, als sie für zwei Wochen ihre Familie in der Provinz besucht.
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Marylou, freie Friseurin mit Ehemann und zwei Kindern, hat entschieden zu wenig Stunden am Tag und zu wenig Spaß im Ehebett, weshalb sie neuerdings einen heimlichen Lover unterhält. Die Eltern der Schwestern leben schon lange geschieden. Leonard ist im Ruhestand und kann nicht kochen, Nathalie wechselt gern die Partner und malt wenig diskrete Bilder vom weiblichen Intimbereich. So richtig zur Ruhe kommt Juliette da eher nicht. Dann lernt sie Pollux kennen, der eine kleine Ente adoptiert hat.
Es ist einiges los in Blandine Lenoirs filmischer Adaption von Camille Jourdys Comicroman „Juliette: Gespenster kehren im Frühling zurück“. Es geht um eine Familie, die nicht homogen, aber auch nicht dysfunktional aufgestellt ist; es sind eben die kleinen menschlichen Bedürfnisse nach Glück und Zufriedenheit und wie man damit umgeht, wenn zu vieles sich nicht mehr zufriedenstellend gestaltet.
Daraus resultiert ein ziemliches Konfliktvolumen, dem Buch, Regie und Besetzung mit zwinkernder Leichtigkeit und überraschungsreichen Szenenwechseln begegnen. Probleme werden nicht herunterspielt, suhlen aber auch nicht in Tristesse. Daraus ergibt sich ein liebenswertes Stück Unterhaltungskino, über weibliche Aufbruchsperspektiven ohne schrille Zwischentöne oder karikaturhafte Verzeichnungen. (ues)