Bochum. Rudi Pell legt mit „Risen Symbol“ ein neues Album vor. Warum er Bochum niemals verlassen würde und gerade keinen Kuchen isst.
Axel Rudi Pell, Melodic-Metal-Ikone aus dem Revier, hat mit „Risen Symbol“ ein weiteres seiner Axel-Rudi-Pell-Alben gemacht. Top solides Handwerk, erstklassige Melodien, bestens gespielt und gesungen, inhaltlich ein bisschen an der Oberfläche. Wir haben mit Pell, 63, gesprochen. Über den Grund, warum er von der Hitparade zum Hardrock umschwenkte, was er sich bis zur kommenden Tournee vorgenommen hat und warum er Bochum nie verlassen würde.
Guten Tag, alles bestens?
Axel Rudi Pell: Mir geht es sehr gut. Viel Arbeit und wenig Brot. Ich bin gerade auf Diät, esse morgens zwei Scheiben Körnerbrot, mittags Käse und abends auch. Zwischendurch dann vielleicht mal einen Apfel oder eine Banane, und so komme ich gut durch den Tag.
Wie haben Sie sich denn sonst ernährt?
Schlecht. Mit viel Junkfood, das ist meine große Schwachstelle. Noch schlimmer: Ich bin Kuchenfan. Jeden Nachmittag könnte ich mich in Kuchen reinlegen, das mache ich jetzt aber gar nicht mehr. Null Kuchen in der nächsten Zeit.
Sie leben nach wie vor in Ihrer Geburtsstadt Bochum?
Ja, klar. Ganz klassisch in einer Doppelhaushälfte direkt an der Ruhr. Mir gefällt es hier richtig gut. Ich habe auch ein Arbeitszimmer, in dem alle meine Instrumente stehen. Hier ist alles, was ich brauche.
Sie machen ja seit vielen Jahren internationale Musik, aber den Drang, mal nach Los Angeles oder nach London oder so zu ziehen, haben Sie nie verspürt, oder?
Nee, voll nicht. Musik, die auf der ganzen Welt gehört wird, die kann ich auch in Wülferode machen, dafür muss ich nirgendwo anders hinziehen. Jetzt gottweißwohin zu ziehen, das würde mich eher irritieren. Ich habe hier in Bochum seit vielen, vielen Jahren meinen Freundeskreis, ich fühle mich hier wohl. Man sagt ja „Zwischen Dortmund und Essen wird Bochum meist vergessen“, aber das ist Quatsch. Wir haben hier das beste Kneipenviertel, das Bier in Bochum ist super, ich habe hier meine Lieblingsrestaurants. Bochum ist perfekt für mich, ich will hier gar nicht weg.
Das gute, alte Bermudadreieck.
Ja, allerdings bin ich dort nicht mehr so oft am Start. Das Bermudadreieck ist geil, aber mehr was für Leute unter 50. Mittlerweile sind da nur noch Kiddies unterwegs, das ist nicht mehr meins. Aber es gibt auch immer noch Ecken, wo ich gerne abends mal hingehe. Ich habe ein ganz normales Leben. Wenn ich nicht auf Tour bin, bin ich zu Hause, komponiere Songs.
Sind Sie einer, der sich sagt, „So, heute fange ich an, ein neues Album zu schreiben“?
Nein, so funktioniere ich nicht. Ich bin nicht der Typ, der auf Kommando kreativ sein kann. Ich mache das so, dass ich immer mein Handy mit Diktiergerät dabeihabe. Es kommt vor, dass ich beim Metzger bin, ein Pfund Hack bestelle, auf einmal kommt mir eine Melodie, die singe ich dann schnell ins Handy. Mir egal, wenn alle in dem Moment denken, ich hätte ein Rad ab (lacht).
Wer schreibt die Texte – Sie oder Ihr Sänger Johnny Gioeli, der ja auch schon seit 1998 dabei ist?
Die mache ich selbst. Johnny wollte nie. Vor ihm war ja Jeff Scott Soto in der Band, der hat wenigstens ab und zu mal einen oder einen halben Text geschrieben. Johnny sagte zu mir, er hasse es, Texte zu schreiben. Außerdem fand er, als Amerikaner habe er nicht den Hintergrund, den ich als Europäer habe. Und statt über Burgen und Schlösser und Geschichte würde er höchstens über kalifornische Beach Girls schreiben, und ich meinte zu ihm: Das lassen wir mal lieber. Deswegen bin ich der alleinige Texter.
Ist Ihre Musik wirklich so stark europäisch geprägt?
Auf jeden Fall. Ich habe natürlich auch leichte amerikanische Einflüsse drin, allein, was die Gitarristen angeht. Aber die Basis unserer Band ist sehr europäisch.
Gibt es einen Gitarristen, der Sie dazu gebracht hat, selbst zu spielen?
Ritchie Blackmore. Ich habe Deep Purple im Fernsehen gesehen, Anfang der Siebziger, und nur gedacht: „Was ist das denn?“ Ich habe vorher, das muss ich der Ehrlichkeit halber sagen, nur deutschen Schlager gehört. Die „Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck war meine Lieblingssendung. Aber dann bin ich komplett umgeschwenkt. Von da an hörte ich nur noch sowas. Ich fand Blackmore als Junge einfach magisch und geil, wie der spielte. Zwei, drei Jahre später kamen UFO dazu mit Michael Schenker, natürlich auch Led Zeppelin, obwohl ich Jimmy Pages‘ Solospiel nie so mochte wie das von den anderen genannten Kollegen.
Wie alt waren Sie, als Sie Dieter Thomas Heck gegen Ritchie Blackmore eingetauscht haben?
Elf. Meine erste Akustikgitarre habe ich dann von meinen Eltern zum zwölften Geburtstag geschenkt bekommen. Du siehst, ich bin schon sehr alt (lacht).
Welche Schlager waren Ihnen die liebsten?
„Mendocino“ von Michael Holm fand ich mega. Bata Illic. Auch „In The Summertime“ von Mungo Jerry habe ich geliebt.
Hatten Sie schon als Teenager eine Matte?
Ja, auf jeden Fall. Die habe ich mir wachsen lassen, seit ich zwölf war.
Mit zwölf die erste Gitarre, mit 18 die erste Band Steeler, 1984 ein Plattenvertrag beim selben Label wie Warlock mit Doro Pesch. Seit 1989 Chef von Axel Rudi Pell, jener Band, die so heißt wie Sie: Leben Sie heute Ihren Jugendtraum?
Kann man so stehenlassen. Meine erste E-Gitarre habe ich von meinen Eltern Weihnachten 1973 geschenkt bekommen. Wir haben mit drei Kollegen in einem Keller geprobt, dienstags und samstags war immer Tanztee. Irgendwann kam der Jugendclubleiter zu uns und meinte „Ihr müsst beim Tanztee spielen, die Musikanlage ist kaputt“. Danach hatten wir auch Glück, die richtigen Leute zu kennen.
Anfang der Neunziger dann kam Grunge und hat den Hardrock ziemlich platt gemacht. Wie haben Sie das erlebt?
Ich bin immer meinen Wurzeln treu geblieben, habe mich stilistisch nie großartig verändert. Das wäre unehrlich mir gegenüber gewesen, weil ich sonst keinen Spaß gehabt hätte, aber auch den Fans gegenüber. Viele Bands, die vorher Melodic Metal gemacht hatten, kamen ja auch plötzlich an und versuchten, Grunge zu machen. Die sind natürlich fürchterlich auf die Schnauze gefallen, zu Recht. Denn wer sich verbiegt, der hat es nicht anders verdient, das ist zumindest meine Meinung. Und deswegen wird es auch nie ein Axel-Rudi-Pell-Album geben, das stilistisch in einer anderen Welt stattfindet. Darauf hätte ich gar keinen Bock.
Sie machen einen außerordentlich bodenständigen Eindruck, hat Sie das ganze Rock’n’Roll-Wesen immer kaltgelassen?
Ja, relativ zumindest. Ich bin, was den eigenen Erfolg angeht, immer eher emotionslos gewesen. Als wir kurz vor Corona zum ersten und wohl auch letzten Mal in Moskau gespielt haben, da kam einer aus Wladiwostok. Der ist eine Woche lang mit dem Zug unterwegs gewesen, um uns live zu sehen. „Living Legends!“ rief er mir zu. Für ihn war es das Größte, mich zu berühren, seinen Gott. Naja, ich meinte, ich sei ja bloß ein ganz passabler Gitarrist, aber nein, nein, der Mann war von mir überwältigt. Das war unglaublich, noch viel intensiver, als alles, was ich in Europa erlebt habe. Ich kann das ja nicht so nachvollziehen, wie gesagt. Ich sehe mich als Gitarristen, der in der Lage ist, einigermaßen gute Songs zu komponieren, der songdienlich spielt und nicht so rumdudelt.
Welchen Stellenwert hatten Sex und Drogen neben dem Rock’n’Roll?
Wir waren da schon dran beteiligt, auch schon zu Steeler-Zeiten, aber naja, es war nichts Wildes. In zweieinhalb Jahren bekomme ich meine reguläre Rente, da fange ich mit so einem Quatsch auch nicht mehr an (lacht). Ich mache aber trotzdem weiter Musik. Bis ich irgendwann mal tot umfalle. Guck mal, Keith Richards, der ist 80, und der raucht immer noch (lacht).
Wie sieht es mit Alkohol aus?
Ich trinke sehr gerne Schwarzbier. Wenn keins da ist, tut es auch Altbier. Und ab und zu mal ein Ouzo mit Eis. Aber höchstens einmal in der Woche.
Auf Ihrem neuen Album gibt es den Song „Forever Strong“. Geht es da um Sie persönlich?
Nein, nein. „Forever Strong“ steht sinnbildlich dafür, sich nicht verbiegen zu lassen. Das trifft natürlich auf uns, aber auch auf die ganze Welt zu.
Kann man sagen, das neue Album ist mal wieder so ein klein wenig härter geworden als die vorherigen?
Das unterschreibe ich, ist aber keine bewusste Entscheidung gewesen. Das ist zufällig passiert, ich bin der Magie gefolgt und hab auch mal gesagt: Komm, der Song kann ruhig mal drei oder vier Riffs haben, anstatt nur eins. Es ist wirklich ein Album, das sehr viel abwechslungsreicher geworden ist als die letzten. Manchmal baue ich zusätzlich noch ein Riff ein, wenn ich denke, das passt da noch rein in den Song.
Das Stück „Ankhaia“ geht zehn Minuten lang, was steckt dahinter?
Ich war immer schon sehr an Led Zeppelin orientiert, das ganze Album ist ja sehr orientalisch, arabisch angehaucht, was manche Klangfarben und manche Tonfolgen angeht. Ankhaia ist eine von mir erfundene Fata Morgana, die man sieht, wenn man in der Wüste am Verdursten und am Verhungern ist. Angelehnt an das ägyptische Symbol „Ankha“, das für das ewige Leben steht. Man sieht die Stadt, man sieht sie, alle wollen hin – und dann ist da gar nichts! Das ist der Tenor. „Cashmere“ von Led Zeppelin stand bei dem Song sicherlich Pate.
Und Sie covern den „Immigrant Song“ von Led Zeppelin auf der neuen Platte.
Ich fand den immer cool, habe aber nie einen Weg gefunden, etwas drumherum zu bauen, damit er anders klingt als das Original und doch noch an das Original erinnert. Nun ist mir endlich so viel Pell-typisches dazu eingefallen, dass ich mir gedacht habe: Jetzt ist es an der Zeit!
Haben Sie Jimmy Page vorher fragen müssen, wenn Sie noch ein Zweiminutengitarrensolo einfügen?
Nein. Man muss nur fragen, wenn man Text oder Melodie ändert oder den Song grundsätzlich stark verändert, also zum Beispiel aus einer Ballade eine Uptempo-Nummer macht. Ich habe aber nur was drangebaut, das freut die nur. Weil meine Version länger ist und sie damit jetzt noch mehr Geld verdienen (lacht).
Was würde wohl der 12-jährige Axel, der plötzlich Rock und Metal entdeckt, über den nun fast 64-Jährigen denken?
Was ist das denn für ein Freak??? (lacht). Ach ja, nee, alles gut. Ich bin glücklich und hochzufrieden mit meiner Musik und meinem Leben. Das Feuer in mir, das brennt noch! Hoffentlich brennt es auch noch viele Jahre weiter.