Essen. Sein Gesicht ist eine Ikone, in der sich Sex, Drugs & Rock‘n‘Roll tief eingegraben haben: Keith Richards feiert wieder mal Geburtstag.
Es gibt diese Stelle in den Konzerten der Rolling Stones, an der sich die Fans mit den Ellenbogen anstupsen, grinsen und zu einem nicht unerheblichen Teil erst einmal Bier holen gehen. Das sind dann die zwei, drei Songs, die Keith Richards nicht nur spielen, sondern auch singen darf, obwohl er das nach verbreiteter Meinung nicht so richtig kann. „Keef“ selbst bekommt dann ebenfalls nur schwer das Lächeln aus dem Gesicht, in dem sich Sex, Drugs and Rock‘n‘Roll abmalen wie bei keinem anderen. Sein Grinsen geht nicht selten in reine Seligkeit über. Er ist längst eine Kultfigur. Einem Keith Richards sieht man fast alles nach. Auch wenn er es gerade mal wieder mit der offenen Stimmung seiner Gitarre übertreibt und auch mit der (Nach-)Lässigkeit, in der er zu den Saiten greift, was auch gerne mal haarscharf danebengeht.
Keith Richards ist 80
Und so wie es bei den Beatles die Lennon-Fraktion hier und die von McCartney dort gibt, bevorzugen die einen Stones-Fans Mick Jaggers nach wie vor athletische Perfektion auch im Singen, während die Richardisten nicht genug bekommen können von der echten Coolness, der überragenden Lässigkeit des anderen „Glimmer Twins“. Mit dem wehenden Stirnband im Piraten-Look hat Richards in den letzten Jahrzehnten eben jene Selbstironie verkörpert, zu der nur in der Lage ist, wer wirklich souverän über allem steht. Auch wenn man mal von einer Palme herunterpurzelt. Nur so erfuhr die Welt ja, dass der verrückte Richards auf sie überhaupt raufgeklettert war, als er schon fast das Rentenalter erreicht hatte. Jagger steht für das vollkommene Leistungsprinzip, sein Pendant mit der Gitarre dafür, dass in der wahren Größe auch das Unvollkommene einen Platz hat.
Keith Richards verkörpert die proletarische Seite der Stones
Gut fünf Monate nach Jagger ebenfalls 1943 und ebenfalls in Dartford östlich von London geboren und gleichzeitig mit ihm eingeschult, verkörperte der Arbeitersohn Richards stets die proletarische Seite der Stones. Es war Jagger, der die damals schier unerschwinglichen Platten von Chuck Berry („Rockin‘ At The Hops“) und Muddy Waters („Best Of“) unterm Arm hatte, als sie einander im Oktober 1961 am Bahnsteig nach London über den Weg liefen, nachdem sie sich einige Jahre aus den Augen verloren hatten: „Er hatte das echte Zeug“, erinnert sich Richards in seiner 2010 erschienenen Autobiografie „Life“, „und ich keine Ahnung, wie ich drankomme.“
„(I Can‘t Get No) Satisfaction“ kam Keith Richards im Traum
Ein paar Monate später spielten sie die Songs selbst. Sie hatten Brian Jones im neuen „Ealing Club“ bei Alexis Corners „Blues Incorporated“ entdeckt. Beginn einer steilen Karriere, in der Mick‘n‘Keef die besten Songs der Stones stets zusammen schrieben – der eine mehr die Musik, der andere mehr die Texte. So wie bei „(I Can‘t Get No) Satisfaction“ mit dem wohl bekanntesten Riff des Rock‘n‘Roll, der Richards in den Morgenstunden des 7. Mai 1965 in einem Hotelzimmer in Florida im Traum begegnet sein soll. Drei Tage später spielen sie eine erste Version, am 12. Mai entsteht die endgültige Aufnahme.
Mit dem Ruhm, mit den Hits, mit dem unerhört vielen Geld beginnt allerdings auch Richards‘ Drogenabhängigkeit. Jahrzehntelang tat er alles, um seinen legendären Satz „Diese Band verlässt man nur im Sarg“ höchstpersönlich wahrzumachen. Der Bürgerschreck trägt nicht nur die Haare lang, sondern auch die Verantwortung fürs Rebellieren. Über seine Fans weiß er: „Sie wollen, dass ich Dinge tue, die sie nicht tun können“. Exzessive Drogen- und Sexpartys gehören dazu. Wegen der Drogen landet er oft vor Gericht und manchmal im Gefängnis, dann in einer Entziehungskur nach der anderen. Allmählich wurde ihm klar, dass man „als Junkie irgendwann nur noch von Junkies umgeben“ ist.
Als Keith Richards sein Mick Jagger fast abhanden kam
In seiner härtesten Drogenphase kam ihm auch seine bessere Hälfte (neben Anita Pallenberg, mit der er in zwölf gemeinsamen Jahre drei Kinder bekam, und Patti Hansen, mit der er seither zusammen ist) abhanden: Mick Jagger produzierte 1985 mit „She‘s The Boss“ ein erstes Solo-Album, das allerdings ein kommerzieller Reinfall wurde. Und: Die Stones gingen ewig nicht auf Tournee. Drei Jahre später schlug Richards mit einem genialen Solo-Album unter dem vielsagenden „Talk Is Cheap“ zurück – lauter echte Stones-Songs, die zeigten, dass hier nur ein Jagger fehlte, um sie adäquat zu singen. Lapidarer Kommentar von Richards: „Mick macht seine Show, und ich versuche, die Band zusammenzuhalten.“
Mit einigem Erfolg: „Hackney Diamonds“ wird das erfolgreichste Musik-Album des Jahres weltweit sein, und die Rückkehr der Stones zum erdigen, lauten, frechen Rock‘n‘Roll dürfte nicht zuletzt auf das Wirken von Keith Richards inner- und außerhalb des Studios zurückgehen. Heute soll er rundum „clean“ sein, selbst von Whisky und Zigaretten. Dass er Besitzer von 3000 Gitarren sein soll, zeugt von einer gewissen Musikabhängigkeit. Aber wenn die Stones im nächsten Jahr in Nordamerika wieder auf Tour gehen, wird man sehen können, dass es eine weitere Droge gibt, von der auch ein „cleaner“ Keith Richards nicht loskommt: der Applaus, der Jubel, die Bewunderung der Fans. Er hat sie verdient.