Essen. Neu im Kino: Penélope Cruz bringt „L’Immensità – meine fantastische Mutter“ zum Glänzen. Viel Spielraum lässt ihr das Drehbuch jedoch nicht.
Die Eleganz und die Dekadenz – diese beiden Attribute scheinen sinnbildlich für Italiens großstädtisches Bürgertum auf dem Höhepunkt der Nachkriegszeit Mitte der 70er-Jahre. Das Kino jedenfalls zementierte diese Vorstellung mit Nachdruck, erst in den Filmen von Fellini, Antonioni und Visconti, später folgten Monicelli, Ferreri, Bellocchio und Lina Wertmüller, zuletzt setzten Paolo Sorrentino und Luca Guadagnino Akzente.
Und nun setzt auch Emanuele Crialese mit „L’Immensità“ („Die Unermessliche“) seinen Stempel auf das sehr italienische Genre der dramatischen Gesellschaftsbeobachtung. Die kreist anders als der deutschen Beititel um die 12-jährige Adriana, die sich außerirdischer Abstammung wähnt und lieber ein Junge wäre, weshalb sie Hosen trägt und sich als „Andrea“ vorstellt.
Zwischenmenschliche Spannungsfelder
Adri (Luana Giuliani) und ihre beiden jüngeren Geschwister leben in einer komfortablen Wohnung in Rom. Ihre Mutter Clara ist eine Spanierin, die ihrem Mann Felice (Vincenzo Amato) einst an den Tiber folgte. Dass er sie betrügt, ahnt sie früh. Die Kinder erzieht sie mit liebevoller Strenge, wird aber niemals handgreiflich. Während dunkle Wolken die Welt der Erwachsenen eintrüben, erlebt Adri in der verbotenen Freundschaft zu einem Ghettomädchen erste zärtliche Gefühle.
Der Blick einer äußerlich verschlossenen, aber umso schärfer beobachtenden Pubertierenden prägt den erzählerischen Blickwinkel des Films. Entsprechend gibt es viel mehr Blicke als Worte, in denen sich zwischenmenschliche Spannungsfelder auftun.
Impressionen der 70er Jahre in „L’Immensità“
Noch besser aber gefällt sich Crialeses Regie in süffigen Impressionen der 70er, als es noch andere Regeln galten. Wenn Erwachsene in Gegenwart von Kindern rauchen, Autos noch ohne Sicherheitsgurte sind und Männer denken, sie könnten sich Frauen gegenüber alles erlauben, während im Schwarz-Weiß-Fernsehen Unterhaltungsshows mit Raffaella Carrà und Adriano Celentano laufen, wird das allerlei amüsiertes Kopfschütteln provozieren.
Die eigentliche Attraktion des Films aber ist erwartungsgemäß Penélope Cruz. Spaniens Superstar glänzt einmal mehr durch eine in lässiger Eleganz gereifte Präsenz, die auch mit minimalem Einsatz mimischer Mittel eine Ausdruckskraft erwirkt, die zu ignorieren schlicht unmöglich ist. Dass der Film um sie herum ihr so wenig psychologisches Unterfutter gewährt, liegt am unterqualifizierten Drehbuch. Auch der schönste Blick ins Auge der Kamera kann keinen ganzen Film retten.