Essen. Otto, Udo und Rapper, Peter Fox und Adriano Celentano, Shakira und Manuel Turizo. Und Kim Petras, David Guetta, Taylor Swift plus Kylie Minogue.
Ständig ist zu lesen und hören, wie groß die gesellschaftliche Spaltung zwischen alten und jungen Menschen angeblich geworden sei. Lauter Unverständnis, Aggressivität und pure Verachtung zwischen den Generationen. Die einen kleben sich auf der Straße fest, die anderen ketten sich, fürs erste dann doch nur emotional, an ihre fünfzig Jahre alten Stinkeheizungen; die einen wollen maximal an vier, besser drei, Tagen die Woche arbeiten, die anderen müssen drei bis vier Mal pro Nacht austreten; die einen essen Buletten aus Linsenmatsch, die anderen halten lieber am Burger aus gewolftem Tier fest; die einen gendern, die anderen heißen zum Beispiel Friedrich Merz.
So geht es selbstverständlich nicht weiter, doch die Lösung ist bereits da. Endlich kommt Schwung in die schwelende Unvereinbarkeit von 70 und 17, ein Versöhnungsprogramm, ein gemeinsamer Nenner, altersübergreifende Initiativen, gegenseitige Empathie, ja sogar Liebe. Die großen Sommerhits in diesem Jahr, sie sind erstsahnige Mehrgenerationenprojekte.
Sting, Otto und Ski Aggu mit Joost Klein, Udo und Apache 207
Allen voran „Friesenjung“, aktuell auf Platz Eins der Single-Charts in Deutschland und Österreich. Im Original stammt das Stück, das gerade in sämtlichen Schuppen zwischen Norderney und Südtirol für spontane Schnapsrundenbestellungen sorgt, vom 71 Jahre alten (aber mit seinen sexy Oberarmen wie maximal 51 aussehenden) Sting; parodistisch eingedeutscht von einem Vorzeigeostfriesen, der das innere Kind sorgfältig kultiviert hat wie nur wenige und deshalb komplett alterslos ist: Otto Waalkes. Der (vorgeblich) 19-jährige sowie in der Öffentlichkeit durch das permanente Tragen einer Skibrille sacht verhaltensauffällige Berliner Rapper Ski Aggu (bürgerlich August Jean Diederich) sowie sein 25 Jahre alter holländischer Kompagnon Joost (Klein) haben sich den „Friesenjung“ vorgeknöpft und in eine krass überdrehte, Hampelmann-musikalische, Techno-Rap-Wodka-Energy-Remmidemmi-Nummer verwandelt.
Auf TikTok, der bei jungen Menschen immer noch endbeliebten Social-Media-Plattform, kam es zu einer Art öffentlich zelebrierter Verbrüderung zwischen dem alten Friesen und den jungen Hüpfern, und man kann ja von Otto und seinem bundesrepublikanischen Seniorenhumor halten, was man will – aber wie es ihm immer wieder gelingt, Kinder und Jugendliche für sein Schaffen zu begeistern, das verdient eine tiefe Verbeugung.
Peter Fox und Adriano Celentano, über den er sagt: „Der ist ‘ne Diva. Wie ich“
In den Charts überholt hat die schrille Kombi übrigens ein anderes gelungenes Beispiel für gelebte Integration, nämlich das melancholische Rap-Schlager-Duett zwischen den beiden obercoolen Sonnenbrillen-Dudes Apache 207 und Udo Lindenberg. 52 Jahre Altersunterschied verschwinden in „Komet“ schnell im Universum, wenn der alte, weise Pop-Patriarch und der junge Milde aus Ludwigshafen sich über den Sinn des Lebens austauschen.
Als alt Hasen freilich sind Udo und Otto noch grün hinter den Ohren im Vergleich zu Adriano Celentano. Die längst pensionierte italienische Sangeslegende musste 85 Jahre alt werden, um von Peter Fox, dem Herbst-, Winter- und Frühlingshitgewinner mit „Zukunft Pink“, erfolgreich für den gemeinsamen Song „Toscana Fanboys“ reaktiviert zu werden. Kommentar von Ragazzo Peter Fox: „Der ist auch ‘ne Diva. Wie ich.“
Fehlanzeige am Ballermann: Schürze, DJ Robin und Ikke Hüftgold versagen
Am Ballermann, bekanntlich auch die Wiege von „Layla“, dem letztjährigen Sommerhit, hängt man in dieser Saison unterdessen ein bisschen in den Seilen. „Komet“ und vor allem „Friesenjung“ machen auch in den balearischen Anstalten fürs betreute Besaufen das Rennen. Allenfalls der arg unanstößige „Peter Pan“ von Mia Julia und Julian Sommer und das ziemlich konstruiert klingende „Bumsbar“ vom „Layla“-Dreamteam Schürze, DJ Robin und Ikke Hüftgold dringen einigermaßen durch.
Shakira (46) und der halb so alte Latin-Pop-Star Manuel Turizo
Die intergenerationelle Ausgewogenheit ist unterdessen auch bei den internationalen Beach-Bar-Beiträgen spürbar. Nehmen wir „Copa Vacía“, die heiße neue kolumbianische Knisterkollaboration von Shakira (46) und dem genau halb so alten Manuel Turizo, einem rasant aufstrebenden Nachwuchsstar des lasziven Latin-Pop.
Rosalía und Rauw Alejandro („Beso“) sind aber gleich alt – und in echt zusammen
Es geht aber auch ganz ohne Age-Gap. „Beso“ etwa, ein Duett von Future-Flamenco-Pop-Königin Rosalía aus Spanien mit dem puertoricanischen Kollegen Rauw Alejandro (die beiden sind auch in echt zusammen) bringt die Eiswürfel in der Sommerschorle schneller zum Schmelzen. Das total fröhliche und durchdringend lebenslustige „Ella Baila Sola“ von der mexikanischen Kombo Eslabon Armado und dem Landsmann Peso Pluma ist hierzulande noch ein Geheimtipp; Streaming-Weltmeister Bad Bunny liefert mit „Where She Goes“ Bewährtes.
Unbedingt im Auge behalten: Kaytraminé, also Animé, Kaytranada und Pharell Williams
Im Auge behalten sollte man unbedingt die Verbindung aus Kaytraminé, bestehend aus Rapper US-Rapper Animé sowie dem haitianisch-kanadischen Produzenten Kaytranada und dem guten, alten „Get-Lucky“-Golden-Boy Pharrell Williams, der ja als neuer Creative Director von Louis Vuitton die Musik nun mehr als Hobby betreibt. „4EVA“ jedenfalls heißt der Song des Trios, eine federleicht-lässige Langsam-Funk-Nummer.
David Guetta, Anne-Marie und Coi Leray, Kim Petras mit Nicki Minaj
Was ansonsten echt ins Ohr fällt, ist die starke Orientierung am längst überwunden geglaubten Genre Eurodance der neunziger Jahre. „Baby Don’t Hurt Me“ von David Guetta, Anne-Marie und Coi Leray trägt den alten Refrain von Haddaways ‘93er-Hit „What Is Love“ auf. Die deutsche Sängerin Kim Petras fleddert auf „Alone“ mit der US-Rapperin Nicki Minaj den Dance-Klassiker „Better Off Alone“ von Alice Deejay. Und eine starke Nummer, die sich gerade rasant nach vorn schiebt, ist „(It Goes Like) Nanana“ von der DJane und Sängerin Peggy Gou, die in Südkorea zur Welt kam und in Berlin lebt: ein warmer, an selige Café-del-Mar-Zeiten angelehnter Song – da denkt man die ganze Zeit, es sei ein Sample des im Jahr 2000 von der Girlgroup ATC gesungenen Songs „All Around The World (La La La)“. Ist es aber gar nicht. Ebenfalls nach den Mittneunzigern, nur in der Provinzdisco-Variation, klingt „Miracle“ von Calvin Harris und Ellie Goulding. Taylor Swift wiederum rollt das Feld gerade etwas unerwartet mit dem vier Jahre alten Synthiepop-Song „Cruel Summer“ auf.
Champagner für Kylie Minogue: „Padam Padam“ beschert ihr ein weiteres Comeback
Absolut außerhalb aller Altersgrenzen genießt seit einigen Wochen, und auch das überrascht, die australische Disco-Ikone Kylie Minogue ihr ungefähr achtes Comeback. 55 Jahre alt ist Kylie, also fast schon eine Kandidatin für die Altersteilzeit; doch in eurem neuen Video sieht sie in einem umwerfenden roten Mantel aus wie gerade volljährig. „Padam Padam“, die neue Single aus dem Ende September kommenden Album „Tension“ hat einen dezidiert dämlichen Titel (soll irgendwas mit Herzschlag zu tun haben), entfaltet aber einen total hypnotischen Sog. Der Song ist irgendwie alles gleichzeitig: Disco, Pop, Techno, Electro – und Kylies Nichtstimmchen klingt dank Gesangsverfremdungssoftware ganz wundervoll.
„Padam Padam“ ist nicht nur dabei, Kylie Minogues größter Hit (seit „Cant‘ Get You Out Of My Head“ vor 22 Jahren) zu werden, der sie, wieder mal dank TikTok, bei einer neuen, jungen Generation von Fans bekannt zu machen. Die ultrasouveräne Nummer ist allerdings auch wie geschaffen für etwas hochklassigere Strandbesäufnisse, etwa mit einem schönen Prosecco oder einem leckeren Rosé. Wie praktisch, dass die kluge Kylie beide Getränke selbst vertickt – ihr Prosecco ist sogar der meistverkaufte in Großbritannien. Und ein Kylie-Champagner soll in Kürze auf den Markt kommen.
Sie wird ihn gut gebrauchen können.