Neu im Kino: Luca Guadagninos verlegt das Remake des Horrorklassikers „Suspiria“ in das West-Berlin des Jahres 1977.
West-Berlin ist 1977, mitten im Deutschen Herbst, eine kalte, eine abweisende Stadt. Die Spuren des Zweiten Weltkriegs sind in der geteilten Metropole noch allgegenwärtig. Und nun herrscht schon wieder eine Art von Ausnahmezustand. Die von der RAF und anderen, ihr verbundenen Organisationen verübten Terroranschläge und Entführungen reißen die alten Verletzungen wieder auf und schlagen zugleich noch neue Wunden. Aber all das scheint die junge Amerikanerin Susie Bannion kaum zu registrieren. Sie lebt einzig und allein für ihren großen Traum, der sie aus Ohio nach New York und von dort schließlich ins geteilte Deutschland geführt hat. Sie will Tänzerin werden und sich einen Platz an der direkt im Schatten der Berliner Mauer gelegenen Akademie der Helena Markos Tanz-Compagnie erobern. Ein eigentlich aussichtsloser Wunsch, schließlich fehlt die dafür notwendige Ausbildung. Doch beim Vortanzen erweckt sie das Interesse von Madame Blanc, der gegenwärtigen Leiterin der Compagnie.
Eine junge, in gewisser Hinsicht naive Amerikanerin namens Susie Bannion war schon einmal die Protagonistin eines lange nachwirkenden Horrorfilms. In Dario Argentos mystischem Schauermärchen „Suspiria“ wurde sie schon bald nach ihrer Ankunft an einer deutschen Tanzschule zum Spielball okkulter Mächte. Der italienische Filmemacher Luca Guadagnino hat nun ein Remake dieses 1977 uraufgeführten Genreklassikers gedreht, das eigentlich gar kein Remake, sondern eine radikale Neuschöpfung ist. Argentos Film, der vor allem durch seine grandiose Farbdramaturgie und durch seine extrem ausgeklügelten Mordszenen für Aufsehen und Begeisterung gesorgt hat, spielte zwar in Freiburg, nutzte seine deutschen Schauplätze aber nur als pittoresken Hintergrund für eine Geschichte um einen Hexenzirkel, der die Schülerinnen und Schüler der Tanzakademie für seine Zwecke benutzte. So hat sich Argento vor den Gebrüder Grimm und der deutschen Märchentradition verbeugt.
Terror und Gegenterror und Holocaust-Erinnerungen
Luca Guadagnino geht in seiner Neuinterpretation des Stoffes einen ganz anderen Weg. Schon die Entscheidung, die Handlung von Freiburg nach West-Berlin zu verlegen, setzt ein deutliches Zeichen. Er hat nahezu alle schwarzromantischen Motive, die dem Original eine eindrucksvolle atmosphärische Dichte verliehen haben, aus der Geschichte um einen Machtkampf unter uralten Hexen getilgt. Sein Film spielt tatsächlich in der düsteren deutschen Wirklichkeit des Jahres 1977. Immer wieder erinnern Radiomeldungen und Fernsehnachrichten an Terror und Gegenterror, an die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und an die Toten von Stammheim. Einmal explodiert eine Bombe ganz in der Nähe von Susies Unterkunft. Und über allem schwebt die Erinnerung an das Dritte Reich und den Holocaust.
Der Psychiater Professor Klemperer, der wie die Choreographin Madame Blanc von Tilda Swinton gespielt wird, sucht nicht nur nach einer anderen Elevin der Markos Compagnie, die nach einer Sitzung bei ihm spurlos verschwunden ist. Zudem treibt ihn das Verschwinden seiner Frau während des Nazi-Regimes an. Selbst mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hofft er immer noch, sie wiederzufinden. So etablieren Guadagnino und sein Drehbuchautor David Kajganich eine Verbindung zwischen den Ereignissen im Herbst 1977 und der jüngeren deutschen Vergangenheit. Der Horror, den sie in teilweise überraschend drastischen Szenen heraufbeschwören, hat weitaus mehr mit Machtverhältnissen als mit schwarzer Magie zu tun.
Die Kunst als eine die Welt verändernde Kraft
Hinter der ausschließlich von Frauen geleiteten Tanzakademie mag sich ein Hexenzirkel verbergen. Aber die matriarchalen Strukturen, die Guadagnino beschreibt, sind für ihn trotz aller Exzesse die einzige Alternative zu der Gewalt, die von den männlichen Strukturen wie denen des Dritten Reiches oder der RAF ausgeht. Damit wird aus Argentos vor allem auf seine Schauwerte setzendem Horrormärchen eine überaus komplexe Reflexion über Schuld und Scham, die Sünden der Vergangenheit und die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen. Nicht zufällig heißt die Tanzperformance, in der die von Dakota Johnson gespielte Susie schließlich die Hauptrolle übernimmt, „Volk“. Guadagnino verbeugt sich mit dieser grandiosen und extrem körperlichen Choreographie, die auf eine archaische Weise von Unterdrückung und Widerstand erzählt, vor den Werken Pina Bauschs und feiert zugleich die Kunst als eine die Welt verändernde Kraft.