Essen. Neu im Kino: Spaniens Regiestar Pedro Almodóvar serviert mit „Parallele Mütter“ ein berückendes Melodram mit einer überragenden Penélope Cruz.
Es ist nur ein Flirt, als Janis (Penélope Cruz) mit dem Anthropologen Arturo erst über die Exhumierung eines Massengrabs und über mehr spricht. Aber dann knutschen sie, gehen miteinander ins Bett und dann ist Janis schwanger. Arturo steht deswegen unter Schock, hofft auf Abtreibung. Janis, die bereits die 40 überschritten hat, will das Kind unbedingt zur Welt bringen. Ein unlösbarer Konflikt, Janis und Arturo trennen sich. Im Krankenhaus, auf der Entbindungsstation, lernt Janis die deutlich jüngere Ana kennen. Die beiden Frauen sind sich auf Anhieb sympathisch, bringen ihre Kinder zur Welt, jeweils eine Tochter, dann trennen sich ihre Wege.
In seinem neuen Film lässt Pedro Almodóvar eine beachtliche Themenvielfalt aufs Publikum los. Er ist aber nicht mehr der lärmfreudige Schalk, der Mitte der 80er-Jahre mit bonbonbunten Komödien zwischen weiblicher Farce („Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“), schwulem Karneval („Das Gesetz der Begierde“) und untröstlichem Machismo („Matador“) zur künstlerischen Speerspitze im neuen, freien Spanien nach dem Ende der Franco-Diktatur avancierte.
Exquisite Finesse
Längst hat Almodóvar die eigene Homosexualität in Frauenfilmen von exquisiter gestalterischer und erzählerischer Finesse kanalisiert. Er ist der echte Erbe von Douglas Sirk und George Cukor, er hat es als einziger Regisseur geschafft, das Melodram als Kunstform zu zementieren und in einer Gegenwart zu verankern, in der Farbenfreude allzu oft als Kitsch und Gefühle als Duselei verschmäht werden.
Almodóvar (72) feiert die Frau als höchste Stufe der Evolution inmitten des spanischen Machismo. Aber wo seine Filme zuletzt immer mehr in der Delikatesse ihrer Inszenierung und der Aura der stets aufregend schönen Hauptdarstellerinnen stagnierten, hat er nun, eher unerwartet, zur Stärke seiner Meistermelodramen „Alles über meine Mutter“ und „Zerrissene Umarmungen“ zurückgefunden.
Penelope Cruz spielt eine sich selbstbestimmt fühlende Fotografin
Die zur Lieblingsaktrice erwachsene Penélope Cruz spielt hier atemberaubend beherrscht eine sich selbstbestimmt fühlende Fotografin, die sich bestürzenden Wahrheiten und Schwachstellen in der eigenen Stärke stellen muss. Die noch junge, aber bereits verblüffend vielseitige Milena Smit („Cross the Line“) liefert dazu den stimmigen Gegenpart einer Frau, die sich erst noch im erwachsenen Leben etablieren muss, wozu ganz wesentlich die Abnabelung von ihrer in plötzlichem Karriererausch enthusiasmierten Mutter (lange vermisst: Aitana Sánchez-Gijón) gehört.
Almodóvar umklammert sein Frauendrama mit einer späten Auseinandersetzung mit dem Terror der Falangisten am Ende der 1930er-Jahre im Spanischen Bürgerkrieg. So kann man seinen Film überladen finden, aber auch ernsthaft und vielschichtig. Dieser virtuos gestaltete, aufregend gut gespielte und betörend schön fotografierte Film ist beides – Herausforderung und Genuss.