Dortmund..

Über 30 Jahre spielte er als festes Ensemblemitglied am Theater Dortmund. Aber so richtig überregional bekannt hat ihn der Tatort aus Münster gemacht. Da zieht er als Vater eines Polizisten Hanf und fährt Taxi. Aber Clausnitzers echtes Zuhause bleibt die Bühne.

„Wo haben Sie ihre Zopf gelassen?“, fragen Passanten Claus Dieter Clausnitzer manchmal. Und sehen in ihm den schrägen Taxi fahrenden Vater von Axel Prahl im Münsteraner „Tatort“. Das ist nur ein klitzekleiner Teil im Leben des 72-Jährigen. Allein 34 Jahre stand er in Dortmund auf der Bühne. Was ein Schauspieler dort tut und warum, danach fragte ihn Lars von der Gönna.

Warum tun sie das?


Claus Dieter Clausnitzer: Warum? Ich hab schon im Schultheater gespürt: Da ist was, was mich erleichtert. Ich hab viel Sport gemacht, Turniertennis. Aber ich hab’ gemerkt, es gibt noch einen anderen Druck, der rauswill. Und die Bühne, das war die Möglichkeit, das rauszulassen. Die Frage nach dem Warum, die war kein so großes Thema. Wenn Sie jung sind, machen Sie das einfach. Beim Studententheater haben wir tagelang kein Sonnenlicht gesehen, so verrückt war man.

Hinter Ihnen liegen 50 Jahre Theater? Was ist der Motor?


Clausnitzer: Menschen! Kollegen, mit denen ich was erstellt habe. Das interessiert mich. Der Motor ist auch die Geisteshaltung. Ich bin Humanist. Deswegen war es für mich immer wichtig, mit Menschen was zu machen. Theater ist Mannschaftssport. Wahrscheinlich mag ich deshalb Fußball so wahnsinnig gern. Ich kann mich für die neue BVB-Truppe riesig begeistern. Das ist eben beim Fußball wie beim Theater. Wenn man nur Stars einkauft, ist das noch lange keine Garantie für eine Meisterschaft. Das „Zusammen“ ist das ganz große Geheimnis. Du spielst einen Doppelpass nur befreit, wenn du weißt: Der andere läuft. Auch auf der Bühne.

„Die Grenzen sollten sehr weit sein“

Sie sprechen von Humanismus. Theater ist auch pessimistisch, sogar zynisch.


Clausnitzer: Klar gibt es das – als Mittel, in die Tiefen zu gehen, zu kratzen am Menschsein. Was kann man ertragen? Wann fallen Tabus? Es ist mir nie schwergefallen, mich bloßzustellen. Auch körperlich. Ich bin berühmt als Nacktdarsteller in Dortmund. Mich hat das Publikumkomplett nackt gesehen, bis vorne an die Bühne. Da habe ich keine Scham. Die Grenzen sollten sehr weit sein.

Gibt es überhaupt welche?


Clausnitzer: Wenn es beleidigend gegenüber anderen Menschen ist oder das Menschenverachtende bloß „Kick“, dann kippt das für mich. Ja: Kunst ist grenzenlos und Kompromisse gibt es nicht. Aber eine gewisse Ethik auf der Bühne gibt es schon, für mich jedenfalls. Wenn man inszeniert, dass Leute auf die Rampe scheißen oder auf Religionen rumtrampeln – das sind für mich sehr flüchtige Theateraktionen. Das holt doch keine Maus mehr hinterm Ofen vor. Das ist alles, um aufzufallen, das ist zum Kotzen. So habe ich meine Arbeit nie gesehen. Das ist nichts.

Auch interessant

Wieviel ist Handwerk, wieviel Intuition im Schauspiel?


Clausnitzer: Es muss ein Dreieck ein: Zwischen Herz, Bauch und Kopf. Dann kann man das Herz sprechen lassen, den Kopf, den Bauch. Wenn man das nicht im Griff hat, bringt man bei einer traurigen Szene kein Wort mehr raus. Es gibt eine Geschichte von einem Schauspieler, der eine Szene hat, bei der er am Grab der Mutter weinen muss. Irgendwann stirbt seine eigene Mutter, wirklich, und er hat an dem Tag Vorstellung und weint, wirklich. Und der Regisseur sagt: „Heute warst Du so schlecht, das geht ja überhaupt nicht.“ Der Zuschauer sucht eben keine Realität sondern eine Wahrhaftigkeit. Eine, die durch den Kunstfilter reiner ist als die profane Wahrheit.

Für das Publikum hat das Theater oft eine magische Dimension. Ist es Zauberei?


Clausnitzer: Es gibt magische Momente. Da will man immer hin. Natürlich weiß man eine gewisse Strecke dieses Weges. Aber wie es genau geht: Das weiß man nicht. Der Musiker hat ja ein Instrument, mit dem er im Konzert zusammenwächst. Und dann kann er es wegstellen. Der Schauspieler ist das Instrument, mit dem rennt er auch privat durch die Gegend.

„Es ist eine Art Schizophrenie“

Wenn Othello Desdemona den Hals umdreht, sind es dieselben Hände, mit denen der Schauspieler sich morgens noch ein Wurstbrot geschmiert hat...


Clausnitzer: Ja, das ist eine Art von Schizophrenie, das darf man schon so sagen. Man ist zwei. Die Rolle und man selbst, und man ist ja wie jeder Mensch dann auch noch auf der Suche, wer man genau ist. Man kennt oft eher die Rolle als sich selbst.

Versperrt das Spiel den Blick aufs Ich oder hilft es?


Clausnitzer: Man entdeckt durchs Schauspielersein in sich selbst große Flächen, die weiß sind, wie auf den alten Landkarten. Manchmal kann man sie einzeichnen: Ach so! Da also liegt das und das. Mit der Zeit kriegt man sie bestenfalls kleiner. Aber es bleiben bis ins hohe Alter welche. Manchmal sogar plötzlich ganz große. Aber das ist es auch, was mich immer an diesem Beruf gereizt hat: das Unbekannte.