Essen. Französische Impressionisten aus Japan und Essen: Das Museum Folkwang vereint zu seinem 100-Jährigen zwei Sammlungen von höchster Qualität.
Vielleicht wären sie sogar Freunde geworden. Zwei Männer, zwei Kunstliebhaber auf verschiedenen Kontinenten, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Leidenschaft für eine Kunstrichtung eint, deren Werke damals noch kein Garant für schwelgerische Blickreisen und Ausstellungsrekorde sind. Der Hagener Sammler Karl Ernst Osthaus (1874-1921) und sein japanisches Pendant Kōjirō Matsukata (1866-1950) aber können gar nicht genug bekommen von dieser oft noch verspotteten, licht- und farbdurchfluteten Weltwiedergabe namens Impressionismus, der in den Ateliers der Pariser Künstler gerade seinen Siegeszug antritt. Begegnet sind sich Osthaus und Matsukata wohl nie. Im Essener Museum Folkwang aber finden Teile ihrer Sammlungen nun zu einer einzigartigen Jubiläumsschau zusammen, mit der das Haus sein 100-jähriges Bestehen feiert: „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt.“
Die Reihe der kulinarischen Sonderausstellungen wird fortgesetzt
Die Reihe der kulinarischen Großschauen, mit denen das Folkwang in den vergangenen Jahren immer wieder Erfolge gefeiert hat, wird so um ein weiteres Impressionisten-Kapitel zu erweitern. Zumal neben der Qualität der ausgestellten Bilder – den erlesenen Gauguins, den kostbaren Renoirs, den in Vielzahl angereisten Monets nebst Grafik und Skulpturen – die Geschichte, die hier erzählt wird, besonders ist.
So wird der Gang durch die Ausstellung nicht nur zur Begegnung mit lauter (spät)impressionistischen Meisterwerken von Gauguins Südseeszenerien bis zu Monets „Seerosen“, sondern führt zu der staunenswerten Erkenntnis, wie parallel sich die Begeisterung für die französische Moderne einst auf beiden Seiten des Globus entwickelte.
Als die „Lise“ nach Hagen kommt, sind die Berliner neidisch
Geteilt wird diese Begeisterung von zwei Männer, die ihre Leidenschaft für die Kunst aus einem industriellen Umfeld entwickeln. Und mit ihren nicht unerheblichen Vermögen vor allem eines möchten: Die Bilder für ein breites heimisches Publikum zugänglich machen. Karl Ernst Osthaus, der Hagener Bankierssohn, erbt schon in jungen Jahren drei Millionen Mark von seinen Großeltern. 1897 macht er erste Kunst-Ankäufe und gründet 1902 in Hagen sein Museum Folkwang, es gilt als das erste Haus der Moderne in Deutschland. Renoirs heute so berühmte „Lise mit dem Sonnenschirm“ kommt bereits ein Jahr zuvor nach Hagen, zum Neidwesen der Berliner, die sich fragen, was so ein großartiges Gemälde denn in der Provinz soll.
Im Essener Folkwang, das die kostbare Sammlung nach Osthaus’ Tod 1922 ankauft, ist sie heute der Star, „unsere Mona Lisa“, sagt Kuratorin Nadine Engel. In der Ausstellung sieht man Renoirs Muse aber auch ganz ungewohnt als leicht bekleidete Haremsdame, während man sie zur Rechten in galanter Begleitung von Édouard Manets „Porträt von Monsieur Brun“ weiß, den das National Museum of Western Art in Tokio nach Essen geschickt hat. Dort werden die Kunstschätze Matsukatas heute präsentiert.
Ein Großbrand vernichtet einen Teil der Kunst, dann werden die Bilder auch noch beschlagnahmt
Der Traum vom Museum erfüllt sich für den japanischen Großsammler, der als Gründer der Kawasaki-Schiffswerke im Ersten Weltkrieg sein Vermögen macht und bisweilen als „japanischer Krupp“ gehandelt wird, aber erst postum. Hunderte der von ihm gekauften Kunstwerke gehen 1939 zunächst bei einem Großbrand eines Londonern Warenmagazins verloren. 1944 dann wird seine kostbare Kunstsammlung von der französischen Regierung beschlagnahmt und Jahre später nur teilweise zurückgegeben. Manets fleißige „Kellnerin“, die in Frankreich bleibt und heute im Pariser Impressionisten-Tempel Musee d’Orsay hängt, ist für die Essener Impressionisten-Schau nun erstmals wieder mit Gemälden der Ursprungs-Sammlung vereint.
Auch das Western Museum of Art in Tokyo hat seine Kunstschätze seit den 1950ern in dieser Fülle nicht mehr aus dem Land gelassen. Bis zu 3000 Werke soll Matsukata in knapp 20 Jahren von nahezu 600 Künstlern zusammengetragen haben. Sein Budget war dabei noch um einiges größer als das des Hagener Sammlers Osthaus. Die Vereinigung beider Konvolute sorgt nun für eine Kunst-Vereinigung von Rang, Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter spricht von Kosten in siebenstelliger Höhe.
Eine zeitgenössische Installation von Chiharu Shiota schlägt die Brücke in die Gegenwart
Gleich im Eingangsbereich trifft man die Protagonisten der Schau dabei auch Seite an Seite: Das Osthaus-Porträt von Ida Gerhardi als Hagener Leihgabe hängt neben einem Matsukata-Porträt von Frank Brangwyn, dem langjährigen Berater des japanischen Kunstliebhabers. Es zeigt einen eleganten, Pfeife rauchenden Herrn im Zweireiher, Geschäftsmann und Genießer, der sich wie Osthaus nicht nur für die Kunst der französischen Moderne, sondern auch für Artefakte aus aller Welt begeistern kann. 290 japanische Objekte gehören heute noch zum Folkwang-Bestand, darunter eine Auswahl von No-Masken. Und vielleicht hätte sich der Hagener Sammler auch für die Arbeit „I Hope“ der Japanerin Chiharu Shiota (*1972) begeistert, deren Installation die Brücke zur Gegenwartskunst schlägt – als schwebende, dreidimensionale Landschaft aus roten Schnüren.
Wie Japans Liebe zum Impressionismusschon Ende des 19. Jahrhunderts in einem Land erblühte, das sich gerade erst für den Westen öffnete, und warum sich die Kunstgattung dort bis heute höchster Beliebtheit erfreut, hat die Bonner Bundeskunsthalle schon vor einigen Jahren thematisiert. Und auch die Begeisterung französischer Künstler für die fernöstliche Kultur hat das Museum Folkwang mit seiner „Japonismus“-Schau bereits eindrucksvoll gezeigt. Mit dem Zusammentreffen der Sammlungen von Osthaus und Matsukata kann man diese grenzübergreifenden Entwicklungen nun auf besonders persönliche Weise nachzeichnen.
Im Rodin-Raum mit seiner riesigen Höllentor-Abbildung trifft man beispielsweise auf verschiedene Bronzen, die Rodin für sein gigantisches Lebenswerk geschaffen hat, und die von beiden Sammlern zu unterschiedlichen Zeiten gekauft wurden. Und auch sonst gibt es immer wieder spannende Sicht- und Themenbezüge. Da hängst Pissarros noch recht realistisches Erntebild neben van Goghs wenig später in gleißendem Sonnenlicht aufgehenden „Kornfeld mit Schnitter“ aus dem Museum Folkwang. Während die Faszination beider Sammler für den Pointillismus mit Werken von Paul Signac, Henri Edmond Cross und Théo van Rysselberghe zu Tage tritt.
Die Ausstellung macht das Glück des Sammlungs-Ankaufs noch einmal sichtbar
Und so staunt man sich von Raum zu Raum, trifft auch auf viele Vertraute, die den Folkwang-Ruhm begründet haben, und wird noch einmal zurückgeführt in großen Hagener Bildersaal, der gefüllt ist mit Meisterwerken von einst: Paul Signacs lichtdurchfluteter „Hafen von Saint-Tropez“ ist nach Essen zurückgekehrt: Kein Opfer der Plünderung im Nationalsozialismus, das den Osthaus-Schatz 1937 um weit mehr als 1000 Arbeiten schmälerte, sondern Folge eines Bildertauschs, der erst in den 1970ern eingefädelt wurde.
Auch das ein Teil der großen Folkwanggeschichte, die in der Ausstellung mit dem Neuanfang endet: 1922 verschmilzt die Osthaus-Sammlung mit dem Essener Kunstmuseum zum Essener Museum Folkwang. Die Jubiläumsschau macht das Glück dieses von einem breiten Bürgerbündnis getragenen Ankaufs noch einmal sichtbar.
Infos zur Ausstellung:
„Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“, 6. Februar bis 15. Mai, Museum Folkwang Essen, Museumsplatz 1.
Eintritt: 14/erm. 8 Euro. Zeittickets unter museum-folkwang.ticketfritz.de.
Geöffnet: Di-So 10-18 Uhr, Do/Fr 10-20 Uhr. Mehr Infos: www.museum-folkwang.de