Bochum. Am Bochumer Schauspielhaus ist man durchaus daran gewöhnt, mit prominenten Gaststars zu arbeiten. Jetzt schlüpft Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman in die Rolle des Jago in Shakespeares „Othello”. Der Weltstar gab sich lässig.

Prominente Gaststars sind am Bochumer Schauspielhaus nichts sehr Ungewöhnliches: Doch normalerweise heißen die Stars Charles Brauer, August Zirner oder Peter Lohmeyer. Ein Oscar-Preisträger wie Philip Seymour Hoffman ist auch an der Königsallee die Ausnahme. Man könnte sich nun beseelte Film-Fans und kreischende Autogrammjäger vor dem Bühneneingang vorstellen. Doch dafür ist Bochum wohl nicht die Stadt und Seymour Hoffman nicht der Star.

Wie der 41-jährige Hollywood-Darsteller da gestern Vormittag zur Vorstellung des amerikanischen „Othello”-Gastspiels gähnend ins Foyer schlurft, mit seiner ausgeleierten Cordhose (beige) und der Windjacke (spinatgrün), könnte man ihn im ersten Moment glatt für den Hausmeister halten. Neben Star-Regisseur Peter Sellars, der an diesem Morgen zum Hemd (gelb-orange gestreift) eine passende, lange Perlenkette angelegt hat und zwecks Gestaltung seiner Frisur wie üblich in die Steckdose gegriffen haben muss, wirkt der amerikanische Schauspieler noch farbloser. Er ist blass wie immer, manche würden käsig sagen. Doch wer ihn einmal im Kino gesehen hat, der wird sein Gesicht niemals mehr vergessen.

Mit „Capote” kam der große Erfolg

Eigentlich ist so einer wie Hoffman, 1967 in New York geboren, geschaffen für die personifizierte Nebenrolle. Etwas schwerfällig, ein paar Kilos zu viel, ein paar Designer-Anzügen zu wenig und dieser etwas fusselige Backenbart, den sonst Realschullehrer tragen. Keine Erscheinung, mit der man Tom Cruise oder Pierce Brosnan Konkurrenz macht. Seymour Hoffman hat sich für die anderen Typen entschieden: Für die, die ihre Macken vorführen statt der Makellosigkeit, die ihre Schrullen und Schwächen pflegen statt Schönheit: den verklemmten Stalker in „Happiness”, den schwulen Tontechniker in „Boogie Nights” oder den krankhaften Spieler in „Owning Mahowny”.

Lange hat er dieses Außenseiter-Spektrum mit so viel Gewinn für die Verlierer und Herz für die Perversen bedient, dass irgendwann der Triumph kommen musste. 2006 geht die Kino-Biographie über Truman Capote ins Oscar-Rennen und macht den Hauptdarsteller Hoffman schlagartig berühmt. Seither ist er der Weltstar, über den man wenig weiß.

Er lebt in New York, hat drei Kinder mit einer Bühnenbildnerin und die lange Liste seiner Filme zeugt von ausgeprägtem Workaholismus. Seinen Auftritt in der vor einigen Wochen angelaufenen Piratensender-Komödie „Radio Rock Revolution” sollte man gesehen haben, die ebenfalls Oscar-nominierte Rolle in Sidney Lumets Familienthriller „Tödliche Entscheidung” ging unter die Haut. Demnächst arbeitet der 41-Jährige erstmals selbst als Regisseur und hat gerade einen Animationsfilm synchronisiert.

New York, Wien, Bochum

Obendrein ist er eben auch noch ein Theatertier, das mit Peter Sellars schon vor 15 Jahren Shakespeare gespielt hat. Nun erobern sie gemeinsam mit „Othello” die Bühnenwelt: New York, Wien, Bochum. Seymour Hoffmans „Jago” wird dabei wohl als der grüblerischste und gequälteste Shakespeare-Intrigant in die Theatergeschichte eingehen.

So was kann er eben; auch dem fiesesten Charakter Seele verleihen. Wie er das macht? Während Sellars über den „Othello” spricht, der bei ihm nicht schwarz ist, über Obama und das „Karma” des Bochumer Schauspielhauses, bohrt sich Seymour Hoffmans Blick ins Nirgendwo. Und man spürt sofort, dass dieser massige Mann nicht gerade zu den amerikanischen Vermarktungs-Genies gehört, die Journalisten mit Floskeln begraben und dank artig-abgespulter Routinehöflichkeiten trotzdem zufrieden nach Hause schicken. Da sagt er lieber gar nichts.

Aber dann fischt er sich eine Cola vom Tisch und spricht doch noch von genauer Vorbereitung und Vorstellungskraft, von der Wahrhaftigkeit, die zählt. Im nächsten Moment geht's schnell zurück auf die Probebühne. In Wien hatte Jago letzte Woche noch ein paar Text-Hänger. Seymour Hoffman guckt, als hätte er die letzte Nacht nacharbeiten wollen – und stattdessen eine Megapackung Baldrian vernascht.