Bochum. Der Starregisseur Peter Sellars zeigt, als Koproduktion mit den Wiener Festwochen, in Bochum „Othello” mit Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffmann in der Rolle des Jago als begnadeten Schmierlapp.

Jetzt hat das Ruhrgebiet doch noch seinen Peter Sellars bekommen und Elmar Goerden seinen Triumph. Um Sellars hatte es einen ärgerlichen Streit gegeben, als die Ruhr Triennale den Amerikaner partout als Intendanten der Kulturhauptstadt durchsetzen wollte; es kamen stattdessen die Geschäftsführer Oliver Scheytt und Fritz Pleitgen. Ein Unterschied mit Hintergründen. Goerden aber, mit dem das Publikum nicht warm wurde (und er nicht mit ihm), wächst in seinem vorletzten Bochumer Sommer über sich hinaus. Er zeigt ein starkes Festival mit Sellars' „Othello” als Herzstück.

Der Krieger entdeckt die Liebe

Ganz großes Theater war da angekündigt, es ist aber erstmal akribisches Theater, unerbittlich folgt es Shakespeare Wort für Wort. Das hält über viereinhalb Stunden nicht immer, was es verspricht, doch die aufmerksame Deutung entdeckt einen ungeahnten Jago. Dem verweist Desdemona seine „Stammtischsprüche”, und so zeigt der Hollywood-Schauspieler Philip Seymour Hoffman den Intriganten als begnadeten Schmierlapp, als armes, aber brutales Würstchen im zu kurzen Pulli überm runden Bauch. „Ich hasse den Mohr”, sagt er weinerlich und erinnert in seiner schlichten Gemeinheit an einen Kleingartenfanatiker, einen Thekenlaller mit krimineller Energie. Dieser Teufel ist ein Spießer, seine Flüche riechen nach Erbsensuppe und Schnaps. Großartig.

Angefangen hat es zwangsläufig mit einem Bett. Auf einer schrägen Ebene aus Monitoren lagern sanft und zärtlich Othello und Desdemona, Hände streicheln, Beine umschlingen einander in sachter Erotik. Es ist ein Bild wie ein Lächeln, untermalt von Videos: abstrakte Zeichen, Bäume, blutige Finger. Virtuelle Realität; ein wunderbares Bild für die Wirklichkeit, die Jagos Lügen erzeugen. Der Krieger aber hat die Liebe entdeckt, und kennt kein wüstes Verlangen, nur Hingabe. John Ortiz und Jessica Chastain sind so rein, dass selbst Jago sanft bleibt; wenn er nicht gerade schreit.

Keine Menschlichkeit für den Mohren

Es ist ein merkwürdiger Abend, faszinierend, ohne zu begeistern. Jago wird gleichmütiger, je böser er lügt, Othellos Hassworte stehen im Kontrast zu seinem Körper, verkrümmt hockend schaukelt er wie ein Kind. Und Desdemona bleibt die seelenvolle Närrin, die Liebe mit irgendwas verwechselt, vielleicht mit dem Sinn des Lebens. Soweit lässt sich das als eigenwillige Alltagsdeutung der Irrsinns begreifen. Dass aber jede Geste vorhersehbar ist; dass Jessica Chastain auf dem Bett posiert wie ein Model auf einer Kühlerhaube; dass die New Yorker Schauspieler so schlicht agieren: herumstehen, Hände ringen, auf die eigene Brust deuten, wenn sie „ich” sagen: Es ist schwer zu ertragen.

Und dann wird es am Ende doch noch berührend, Desdemona darf gegen jeden intellektuell sezierenden Zugriff ganz menschlich flehen. Soviel Gefühl wird Othello nicht zugestanden. Warum nicht? Vielleicht, weil seine Wut unmenschlich ist. Schließlich hat sich der Satan nur als Kleinbürger verkleidet.